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Die Marina von Rungsted ist das auf der dänischen Öresundseite was Porta Portals für Mallorca ist. Der Treffpunkt der Schönen und Reichen. Eine Zweigstelle des Königlich Dänischen Yachtclubs mit Clubhaus, Restaurants, Cafes, Boutiquen mit schickem Schnickschnack der Modemarken ziehen das Klientel zum Sehen und Gesehen werden an, hier freie Zeit zu verbringen.

So nimmt ein chic gekleideter Däne von einer dunkelblauen Elling Motoryacht, die blitzblank poliert ist, freundlicherweise unsere Leinen an, als wir an den Gästesteg eindrehen. Der Hafenmeister fordert uns auf eng aufzurücken, da es später noch voll wird. Und es stimmt. Am Abend sind vornehmlich Motoryachten aus Kopenhagen eingetroffen. Gleich hinter uns ein Ehepaar mit Hund auf ihrer Motoryacht parken ein, so dass nur noch ein Meter Platz bleibt. Doch Angesichts der Wetterprognose haben wir für das lange  Christi Himmelfahrt Wochenende ohnehin keine Weiterfahrt geplant.

Es hat sich ein Wäscheberg angesammelt und so will ich auf dem Weg zum Hafenbüro und Zahlautomat für die Liegegebühr die Sanitäranlagen checken, ob es eine Waschmaschine gibt. Vor dem schwarzen Bretterbau empfängt mich ein schnieker Däne in blauer wattierter Weste und Bermudashort. Mit ausgebreiteten Armen kommt der dunkelblonde Jürgen Drews Verschnitt auf mich zu und ruft: „ Sharmy, Sharmy… dann dänisch (verstehe ich nicht was er sagt). Ich antworte: „ I am not Sharmy“. Er wischt sich seine Poppertolle aus dem braungebrannten Gesicht, für den Mittfünfziger etwas zu gewollt  jugendlich und stutzt. Bevor er sich einkriegt bin ich weg und im WC verschwunden. Für diesen mit nahezu 600 Liegeplätzen grossen Hafen sind die ungepflegten 3 kleinen Kabuffs und zwei Duschen reichlich unterdimensioniert. Waschmaschine finde ich nicht und die Tür wo sie hinter verborgen sein könnte ist abgeschlossen. Nachdem ich das Hafenticket gezogen habe, laufe ich die Promenade der kleinen „Vergnügungsmeile“ an der Innenseite des Hafenbeckens zurück. Da legt plötzlich ein Kajakfahrer an und pellt sich aus dem schlanken Rumpf. Die Wassertropfen perlen an seinem Trockenanzug herunter. Was für ein Mannsbild. Den muss ich ablichten. Er ist das genaue Gegenteil der Bequem Boys, die in den soften Sofakissen der Hafenbars vor Aperol Spritz chillen. Ich rufe dem Wikingertypen zu:“ May I take a photo of you?“ Er stellt sich in Pose.

Von See wirkt der Hafen von Rungsted genauso klein wie die recht flachen und engen Häfen von Snekkersten, Holbaek und Niva, die nördlich liegen. Doch hinter der Einfahrt verbergen sich grosszügige, lange Gästestege und Wendemöglichkeit sowie ein grosses Hafenbecken für die Festlieger, dass hinter den Servicegebäuden sehr gut im Windschutz liegt. Kran, Reparaturbetriebe und ein gut ausgestatteter Schiffsausrüster komplettieren die Anlage, die vor dem Karen Blixen Museum liegt. Zwei Kilometer im Landesinneren befindet sich Rungsted mit zwei Supermärkten und weiteren Geschäften sowie Bahnhof der Küstenbahnlinie, die von Gilleleje bis Kopenhagen fährt und alle Orte miteinander verbindet.

Nivagaard

Auch in Rungsted wird die äussere Hafenmole vom regen Badebetrieb Jugendlicher eingenommen. Während sich die Jungs und Mädchen im tieferen Wasser tummeln, stochern Austernfischer den Flachwasserbereich nach Kleingetier ab und staksen zwischen den algenbewachsenen Steinbrocken der Mole herum.

Unser Ausflug führt uns heute nach Nivagaard. Einer  Museumsanlage mit Gemäldesammlung gelegen in einem angelegten Park mit Rhododendren. Der öffentlich zugängliche Park ist unser eigentliches Ziel. Das Wetter ist schön und sonnig, doch von Westen schieben sich drohend dunkle Wolken heran.

Grade als wir am Eingang zum Gebäudekomplex ankommen, wird eine Schar Menschen aus der Doppelglastür ausgespuckt wie Lavabrocken aus einem Vulkan. Das vornehmlich ältere Publikum mit Rollatoren, Stöcken oder noch rüstiger ohne dieselben strömen hetzend zur Bushaltestelle. Eine Dame ruft: „ schnell, schnell zum Bus vor dem Regen.“ Wir werden abgedrängt und flüchten rechtzeitig vor der Menge zu einem kleinen Holztor, das direkt in den Park führt. Eine Blütenpracht und der angenehme Duft der Gewächse empfängt uns.

Auch hier laufen Besucher versprengt über die breiteren und schmaleren Pfade, die zwischen den Buschgruppen angelegt sind herum, doch es finden sich genügend Ecken sich gegenseitig aus dem Weg zu gehen. Axel mahnt zur Eile, dass wir noch vor dem Regenfeld einen trockenen Unterstand finden. Der Park geht in wildes Naturgebiet über. Im Zickzack geht es über Wurzeln und geduckt an vereinzelt tiefhängenden Zweigen vorbei. Der schmale Trampelpfad ist mückig und wir sind froh, als wir endlich die Landstrasse erreicht haben. Mit vollem Tempo radeln wir zum kleinen Hafen von Niva. Die ersten Schauer setzen ein. Ein Waschhaus am Strand bietet genug Dachüberstand und eine Bank, um die Front abzuwarten. Wir packen unsere Brote aus und während wir gemütlich kauend unser Care Paket verzehren geht über Rungsted schon das Gewitter nieder. Der Himmel wird schwarz, dann wieder hell, ein zarter Regenbogen deutet sich an. Im Norden Richtung Helsingör das gleiche Bild. Doch Niva bleibt verschont. Ein leichtes Nieseln, ansonsten bleibt es trocken und die Sonne scheint zwischen den beiden Wolkenzügen.

Arboretum

Inzwischen ist der Gastbereich der Rungsted Marina gut gefüllt mit Booten. Zweireihig liegen die Segler im Päckchen. Auch wir haben einen Nachbarlieger bekommen. „Gut, dass wir seinen Anleger nicht mitbekommen haben bei dem Wind,“ meint der Skipper, das war für Astarte bestimmt nicht schonend. Auf der X-Yacht baumelt Wetterkleidung zum Trocknen am Grossbaum, ansonsten niemand zu sehen. Der Westwind dreht auf NNW und schickt einzelne starke Böen, die die Rümpfe gegen die Pier drücken und die Fender mahlen tapfer zwischen Bordwand und Steg. Ich doppele mittschiffs mit einem weitern Fender auf wo sich Astarte auf die Seite legt und mit ihrem Bauch einem Metallpoller gefährlich nahe kommt. Die Bootsleute haben sich eingeigelt. Statt rasanter Fahrt über den Öresund liegen sie nun hier fest. Kaum einer läuft aus. Während der Wind mit Spitzen von 36 Knoten über den Hafen fegt, surfen die Crews im Internet. Fairline 047, Targa usw. poppt die Liste unserer Nachbarlieger auf, die online sind.

Getrampel an Deck. Unsere Nachbarn, Ehepaar mit Sohn klettern an Land. Es geht hin und her – mal der eine, mal der andere, so dass der Skipper schon mault: „ müssen die eigentlich so oft von Bord?“  Am nächsten Morgen komme ich mit dem Dänen von der schnittigen X-Yacht ins Gespräch. Wir wollten eigentlich nach Helsingborg auf die schwedische Seite dort Freunde treffen über die Feiertage. Aber bei bei den Bedingungen. Wir hatten drei Knoten Gegenströmung von Kopenhagen hierher. Dann die steile kurze Welle gegenan. Es kam eine Menge Wasser über und wir sind bis auf die Haut nass geworden. Dafür hat das Boot 14 Knoten gelaufen, so schnell waren wir noch nie. Wir unterhalten uns noch eine Weile über die Vor- und Nachteile unterschiedlicher Bootstypen und Empfehlungen für nächste Häfen. Er  meint: „ Ich habe ein Leichtwindboot. Schon bei zwei, drei Windstärken laufen wir sechs Knoten und das Boot geht 38 Grad an den Wind. Dafür allerdings schlägt es auf den Wellen, dass es sich gewaschen hat. Das Knallen geht einem durch und durch. In solchen Situationen hätte ich lieber ein schweres Schiff. Ich resümiere: „ Jeder Bootstyp ist ein Kompromis.“

Uns gehen die Vorräte aus und ich schlage vor den Einkauf mit einer Besichtigungstour zu verbinden. Zunächst geht es leicht bergauf ins Landesinnere durch Rungsted Richtung Handholm. Unser Ziel ist das Arboretum. Bereits vor über 80 Jahren ursprünglich von einem Franzosen angelegt, wartet das Arboretum mit einem Baumbestand von etwa 2000 Exemplaren auf, darunter befinden sich Mammutbäume aus den USA und Kanada.  Ordnung in die Sammlung und eine Katalogisierung des Bestandes brachte der Engländer Wilson. Die Anfahrt durch Buchenwald und einen Sience Park mit vielen modernen Firmengebäuden, dessen Zufahrten mit haushohen Tujabäumen beschattet ist, erreichen wir den Haupteingang zum Arboretum. Die moderne Architektur in Holzoptik beherbergt Sanitäranlagen, Picknikzone und Lehrbereich für Schüler sowie Spielecke und ist picobello sauber.

Das riesige Gelände ist von einem Wegenetz durchzogen. Ausflügler spazieren gemächlich über Pfade und Sandwege. Radfahren verboten, steht am Eingang. Auf abgelegenen Strecken radeln wir durch den Park, denn für Axel kann seinen Fuss nicht so lange belasten. Glücklicherweise nimmt die Besucherdichte schnell ab. Das Arboretum ist so ausgedehnt, dass es eigentlich auch zu Fuss kaum zu bewältigen ist.

Nach einer Weile sind wir am Parkende angelangt und heben unser Räder über eine Holztreppe, somit sind wir wieder im Wald. Trotz Himmelfahrtswochenende waren wir im hinteren Bereich des Arboretums völlig alleine und auch hier im Wald treffen wir keine Menschenseele. Mittlerweile ist es schwül geworden. Wir sind froh über den Schatten der Bäume und unseren selbst erzeugten Fahrtwind. Auf dem Rückweg erledigen wir unseren Einkauf und kaum haben wir die Räder  und Taschen an Bord prasselt auch schon der Regen an Deck.  

Dyrepark Jaegersborg

Der Hafen erwacht zum Leben; heisst hier die Geschäfte und Restaurants öffnen. Stühle und Tische werden zurechtgerückt, Kissen herausgelegt und vor allem die Öfen angeschmissen für die Churro und Waffelbäckerei. Seid wir hier angelegt haben weht der Duft oder Mief, je nach Geschmack, zu uns herüber. Aussage für die Nase: heiss und fettig, vor allem letzteres. Frittiert in Öl und ordentlich süss, so nimmt die Nase eine Prise auf und bereits vom Geruch sättigt sich der Magen. Hier bleiben die Luken dicht und die Betten werden nur innen aufgeschlagen, denn diesen Geruch möchte ich nicht in unseren Decken und Kissen haben. Die Dunstglocke liegt den ganzen Tag über dem Hafen, bis abends wieder dicht gemacht wird. Die zweite grosse Gruppe der angebotenen Noxen ist Eis. In allen Farben schillern die Kugler wie Eisbällchen hier genannt werden. Wir wiederstehen der Versuchung, denn an die Werbung „hausgemacht“ glauben wir nicht. Stattdessen schmiere ich uns Brote und belege diese mit phantasievollen Mischungen, die sich allerdings im Nachhinein als gewagt herausstellen und unsere Mägen herausfordern. Schliesslich liegt das aber in erster Linie an dem Brot, dass einen merkwürdigen Beigeschmack hat. Um diesen zu übertünchen kam ich auf die glorreiche Idee den Belag mit Tabasco und Senf aufzupeppen , vielleicht einen Schnaps zu viel.

Heute radeln wir nach Süden Richtung Klampenborg. Die Küstenstrasse ist gesäumt von Villen und prachtvollen Gärten. Uns erinnert dies an die Elbchaussee in Hamburg, denn die Schattenseite der Grundstücke mit traumhaftem blick auf den Öresund ist die enorme Verkehrsbelastung durch Autos.

Ob Freizeitverkehr oder Pendler nach Kopenhagen, die Autoschlange rauscht von Nord nach Süd und umgekehrt ohne grosse Lücken, so dass wir sehr aufpassen müssen beim Überqueren oder Umfahren von parkenden Handwerker oder Lieferfahrzeugen. Endlich können wir abbiegen in den Wald. Das mehrere Hektar grosse zusammenhängende ehemalige Jagdgebiet wurde von König Christian, seinem Gefolge und Gästen zur Treibjagd genutzt. Zu diesem Zweck treffen sich Sternförmig angelegte Trassen an einem gemeinsamen Punkt. Im Anschluss an die Jagd hielt der Hof sich zu weiteren Lustbarkeiten in dem kleinen Jagdschlösschen Ermitagen auf.

Wir trotzen dem Gegenwind und erreichen nach einer kräftezehrenden Passage, meist bergauf das leider komplett mit Planen vergangene Gebäude. Stapel mit Gerüstgestänge, Baucontainer und ein kalter Wind sowie einsetzender Regen lassen uns ernüchtert Schutz suchen in Lee des Schlosses.

Die Turbulenz zieht durch und bald zeigt sich wieder die Sonne. Der weite Blick über die grünen Wiesen zum Öresund ist herrlich und dazu bekommen wir die Gelegenheit das Wild aus nächster Nähe zu beobachten. Zwei Rudel auf verschiedenen Lichtungen bekommen wir zu Gesicht. Die äsenden Hirsche lassen sich nicht aus der Ruhe bringen. Axel pirscht sich nah heran.

Hoffentlich nicht zu nah, denke ich, aus einiger Entfernung die Sache beobachtend, denn die Köpfe der Geweihträger gehen hoch und ein besonders kräftiges Männchen öffnet das Maul und zeigt seine Zähne. Ich werte dies als eindeutige Drohgebärde. Zum Glück bleibt es dabei.

Später wieder an Bord entdecke ich an Axels Bein eine Zecke. Der kleine Blutsauger wird schnell entfernt und hatte sich zum Glück noch nicht richtig angesetzt, um seine Mahlzeit zu beginnen. Mahnend sage ich:“ Gehe in Zukunft nicht mehr ins hohe Gras. Die hast Du Dir beim Fotografieren eingefangen. Ich habe mal gehört, dass im Umfeld von Damwild besonders viele Zecken sind und Du standest dort eine Zeit unbeweglich, also ideale Bedingungen für die Zecke. Wir müssen uns mehr vorsehen. Jetzt ist es nochmal gut gegangen.“

Mittlerweile hatte unser Päckchen Nachbar die Szenerie verlassen. Er musste zum Wochenbeginn wieder pünktlich im Heimathafen sein und einen ebenso harten Rücktörn in Kauf nehmen wie die Crew es auf dem Hinweg abbekommen hatte.

Das Stromkabel wird eingerollt, meist das typische Zeichen, dass die baldige Abreise bevorsteht. Ich liege auf der Lauer, den der Wind drückt die X-Yacht auf Astarte. Es dauert und dauert, nichts passiert. Inzwischen bin ich in ein Telefonat vertieft, als ich noch durch das Seitenfenster mitbekomme wie Axel mit allen Kräften verhindert, dass der Bug voll durch unsere Breitseite schrammt. Glücklicherweise kam er grade vom Duschen zurück und konnte einen Crash verhindern. Später entdecke ich auf dem Achterdeck zwei abgebrochene Plastikstücke. Als ich sie aufhebe, um sie in den Müll zu werfen, stutze ich und bemerke exakte ausgebrochene Stellen am Container unserer automatischen Rettungsboje. Ich passe sie ein und tatsächlich, hier gehörten sie hin. „ Und ich war noch so nett zu dem. Ich kann mir vorstellen wie das passiert ist. Denn hier genau haben die ihren Tampen belegt und als einer von denen bei uns an Deck war, hat er sich in Wetterkleidung und mit Gummistiefeln hinknien müssen und dabei ist er vermutlich mit der Ferse dran gekommen oder hängen geblieben. Der hätte ja Bescheid sagen können“ bemerke ich. Axel erwidert: „ Nehmen wir mal an, er hat es nicht bemerkt, wollen wir das zu Gute halten. Es ist eben nur eine Vermutung, da wir nicht dabei waren. Shit happens, ich klebe das Teil fürs Erste.“