Middelfart Mittendrin

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Nebel. Früh stecke ich den Kopf aus der Luke zum Rundumblick. Eine milchige Suppe umgibt uns, es ist potten dicht wie man an der Küste sagt. Von Ferne schallt dumpf das wiederkehrende Nebelsignal der Fähre von Aarösund zur Insel Aarö läuft.

Wie eine Fatamorgana erscheint der nächste Ankerlieger als Weichbild in der wabbernden Weisse. Ab zurück in die Koje. Später durchbricht die Sonne den Nebel und die unweit liegenden Fahrwassertonnen tauchen wieder im Sichtfeld auf. Ein Fischkutter bahnt sich seinen Weg zu seinen Fanggründen. Für diese Stimmungen auf dem Wasser lohnen sich alle Mühen des Auf- und Abtakelns, die unzähligen Stunden Polier-, Putz- und Wartungsarbeiten.

Noch ist es Zeit bis zum Aufbruch und die nutze ich mit meiner Morgengymnastik. Am Vormittag geht der Anker auf. Ein Tag mit raumen Winden lässt einen erneuten Versuch zu unseren neuen Gennaker zu ziehen. Mittlerweile hat sich wieder warmes Sommerwetter durchgesetzt.

Am Ende des kurzen Schlags über den Breitling kommen uns Kielboote mit schwarzen Segeln entgegen. Sie scheinen für eine Wettfahrt zu trainieren. Wir steuern zwischen der Insel Faeno und der Halbinsel, die Gamborgfjord nördlich zum Breitling abschirmt legen uns im Leeschutz vor Anker. Hier herrscht schon Badebetrieb von anderen Booten aus oder vom Strand. SUPler paddeln zwischen den Ankerliegern. Sonnenhungrige lassen sich braten während ich unsere Sonnensegel anbringe, um die bestmögliche Abschattung zu erhalten, denn ich darf auch die nächsten 3 Wochen nicht in die Sonne, während der Skipper das neue mobile Solarpanel ausrichtet und sich mit der Leistungsoptimierung befasst.

Das pure Sommervergnügen ist nur noch heute vorhanden, denn ein Blick in die Wettervorhersage, die beute graphisch professionell aufbereitet den Wassersportler zum grossen Prozentsatz vor unliebsamen Überraschungen bewahrt. Windstärken, Windrichtungen, Regen, Gewitter werden mit hoher Präzision vorhergesagt. So steht fest, dass wir uns morgen schon sehr früh in die gegenüberliegende Marina Middelfart verholen, da ein Gewitter angekündigt ist. Aber heute können wir noch einen milden Sommerabend mit der im Westen golden orange zerfliessenden Sonne bei ihrem Abtauchen hinter der Kimm geniessen.

Der Wecker läutet um Punkt 7.00 Uhr. Keine halbe Stunde später laufen wir in Middelfart ein. Rot weisse Absperrbänder verwehren das Anlaufen der grösseren Liegeplätze an Längssteigern. Die meinen Liegeboxen mit unter 3 m Breite sind für uns zu schmal. Ein Werbeplakat an der Hafeneinfahrt informiert: Worldchampionchip Melges Class.

Schwarze Masten bilden einen Wald aus Aluspieren. Wir haben Glück und finden die nahezu einzige freie Box eben einem modernen Motorboot Marke Greenline aus Hamburg. Leise legen wir an, um den Nachbarn nicht aufzuwecken. Direkt an unserem Steg auf der anderen Seite liegen die Regattateilnehmer aufgereiht. Nach dem wir fest sind sage ich zum Skipper: „ das wird spannend, wir sind mittendrin.“  Wir frühstücken gemütlich unser Müsli und ziehen die Kuchenbude auf, grade rechtzeitig denn der Himmel verdunkelt sich. Mittlerweile sind unser Nachbarn aufgestanden. Freundlich, aber verwundert über unser frühes Einlaufen werden wir begrüsst. Das Ehepaar segelte 40 Jahre und ist nun aus Altersgründen aufs Motorboot umgestiegen. Ich erwähne die Umweltfreundlichkeit ihres  Bootes. Greenline ist doch die Marke mit E-Antrieb und Hybridsystem. „Ach was“ meint sie „ das ist doch nur die Werbung.“ Wird kaum verkauft in der Version, auch wir haben zwei Dieselmotoren drin.“ Mit Elektro käme man nicht weit, denn wo sollte man auch aufladen? Am Normalen Landstrom wäre die Ladedauer viel zu lang.“

Inzwischen herrscht bei den Regattateilnehmern rege Betriebsamkeit. Die Teilnehmer sind international. USA, nordische Länder, Tschechien, Rumänien, Deutschland und weiter sind vertreten. Es ist wie ein Laufsteg für die Markenkleidungen des Wassersports. Musto, Henri Lloyd, Zhik, Helly Hansen usw. Bunt sind die Crews gemischt, Männer und Frauen, alt und jung. Ein Däne mit einem Boot direkt vor unserem Platz bemüht sich mit aufheulendem Aussenborder einem Gewirr von Mooringleinen zu entkommen in denen sich das Boot verfangen hat. Sein Crewmädchen turnt am Bug und hangelt mit dem Fuss im Wasser, doch so recht erreichen die beiden nichts. Sie hängen fest. Andere tragen Sonnencreme auf oder verstauen Wasserflaschen. Jedes Boot hat einen  grosse Zubehörkiste auf dem Steg gelascht. Vor Astartes Bug werden Segel ausgerollt und Trapezhosen getrocknet. Wir sind wirklich in medias res.

Lautes Stakato Italienisch vermischt sich mit dem österreichischen Dialekt und den dänisch, schwedisch und norwegischen Sprachen. Dazwischen laufen Offizielle mit Stift und Klemmbrett, den Kopf vorgereckt, braungebrannt mit verspiegelter Sonnenbrille. Sie wirken wichtig im schneeweissen Polo mit Emblem und blauen Shorts. Einige Crews schicken ihren Youngster ins trübe Hafenwasser, um am Rumpf die letzten Schleimanhaftungen zu entfernen. Ob dies die Konkurrenz ausstechen kann? Schlotternd erscheint der magere Junge mit blasser Haut und Löwenmähne wieder auf dem Steg. Das alles ist mal Hafenkino ganz anderer Art. Einige sind noch zu Trainingsläufen herausgefahren, aber die meisten im Hafen geblieben und die wenigen „ Ausreisser“ haben dann auch abgebrochen. Von Westen hat sich mittlerweile eine drohende Walze am Himmel aufgebaut, die auch dem letzten Ignoranten nicht verborgen geblieben sein dürfte.

Wir haben die Festmacher nochmal gecheckt und Springleinen ausgebracht. Dann bricht das Inferno plötzlich los. Gespannt sitzen wir unter der Kuchenbude und beobachten. Jeder hat Unterschlupf gesucht, die letzten Nachzügler rennen über die Stege Richtung Wohnmobile oder grossem Festzelt. Das Zischen geht in ein Röhren über. Jaulend presst sich die Luft an den vielen Masten vorbei. Die Windlupe zeigt in Böen 48 Knoten an, das entspricht ca. 90km/h bzw. 10 Beaufort Windgeschwindigkeit. Irgendwo beginnt es laut zu knallen. Auf einem Fahrtenboot im rechten Winkel zu uns hat sich das Vorsegel zu einem Teil abgerollt und flattert im Wind. Dann folgt die nächste Rollfock.

Die Pechvögel sind die Österreicher. Schon kommen sie gerannt und werden von dem strömendem Regen in wenigen Minuten völlig durchnässt. Das schlagende Segel lässt sich nicht so einfach bergen. Es ist nicht ungefährlich sich den peitschenden Schoten zu nähern. Ein Mädchen versucht die Schot zu halten. Sie wird fast vom Deck gerissen, dann endlich löst ein andere das Fall und das Rollsegel fällt langsam nach unten. Schliesslich ist das Spektakel vorbei und die Wetterfront über Middelfart hinweggezogen. Wir resümieren: am Anker wäre es nicht so gemütlich geblieben. Wasser hat sich durch jede Ritze der Cockpithaube gepresst und ich wische alles trocken. Das Deck dampft. Die Luft ist schwer und feucht, denn die Sonne sticht schon wieder gleissend vom Himmel. Später soll wieder Regen einsetzen. Der Skipper hat ausgewertet: „ Wir haben genau eine Stunde Zeit zum Einkaufen.“ Zügig laufen wir zum nächsten Supermarkt, kommen mit Rucksäcken voll beladen zurück. Kaum sind die Einkäufe verstaut, da plästert es auch schon wieder los. Ich staune erneut mit welcher Präzision die Wetterfrösche arbeiten, also es sind ja eigentlich Computerprogramme, verschiedene Simulationen, die von erfahrenen Meteorologen  ausgewertet werden.

Am nächsten Tag ist das Race, jetzt wird es ernst. Am Vormittag Skipperbriefing. Der eine oder andere englische Wortfetzen schallt über die Lautsprecher zu uns herüber. Tonnenlagen und Kurse werden erläutert. „ Sag mal Melges, davon hat man doch eigentlich noch nie etwas gehört. Was sind das eigentlich für Boote? Die sind ja auch recht gross für Jollen,“ sinniere ich, während der Skipper antwortet: „Wo haben wir eigentlich noch Kaffeebohnen verstaut?“ „Ich mach schon“ antworte ich und krame die Tüte heraus. Ich schlage nach und stosse auf den Namensgeber der Melges Bootsklasse : Harry Melges, ein sehr erfolgreicher amerikanischer Regattasegler, der in zahlreichen Bootsklassen wie u.a. Flying Dutchman an Olympiaden und Weltmeisterschaften teilnahm und erste Plätze belegte. Er war auch in der Americas Cup Szene aktiv. War, denn  der im Jahr 1930 geborene Melges ist zufällig dieses Jahr am 23. Mai verstorben. Seine Legende lebt würdig weiter in dieser Bootsklasse.

„Die Melges 24 (M24) ist eine Segelyacht, die hauptsächlich im Regattasport Verwendung findet. Die Yacht wird von Melges Performance Sailboats in den USA produziert. Melges, 1992 Mitgewinner des America´s Cups, entwickelt in Zusammenarbeit mit dem Designbüro Reichel/Pugh eine Bootsklasse mit herausragenden Eigenschaften. Sie wurde in Bezug auf ihre Länge von 24 Fuss als Melges 24 benannt und in den USA 1994 als Boot des Jahres gewählt. In den USA entwickelte sich die Klasse innerhalb von 5 Jahren zu einer der stärksten Regattaklassen. Bis Ende 2012 gab es rund 850 Boote dieser Klasse, wovon über 550 Boote in den nationalen Ranglisten erfasst sind und an Wettkämpfen teilnehmen. Im deutschsprachigen Raum sind ca. 80 Boote registriert. (Stand 2012). Die M24 ist für ein Kielboot sehr schnell und wird mit Grosssegel, Fock und Spinnaker gefahren. Die Mannschaft besteht aus vier bis fünf Personen und darf bei Regatten ein Gesamtgewicht von 375 Kilogramm nicht überschreiten. Durch die Fertigung aus. Faserverbundwerkstoffen im Sandwichverfahren sind auch ältere Boote konkurrenzfähig. “

Technische Daten der M24: 7,50 m Länge, 2,5 m Breite,  Masthöhe von 10,2 m und einem Gesamtgewicht von 809 kg, davon 300 kg Ballastanteil sowie Segelplan inkl Spi von ca. 97 m2.Die Boote sind mit Aussenborder ausgestattet und fahren unter Motor zu den Regattafeldern.

Wir erfahren von deutschen Teilnehmern, denen es hauptsächlich um das Dabeisein geht und die eher im hinter Drittel „mitfahren“, dass amerikanische Crews als Profisegler mit Gehalt eingeflogen werden, um hier zu segeln. Wir fragen uns wer hinter einem solchen Aufwand steckt und sowieso den Transportaufwand der Boote, das Zubehör, die Verpflegung, Unterbringung und alles was dazugehört finanziert. Abgesehen von der Crew Kleidung und einiger örtlicher Werbung, hält sich letzter in Grenzen.

Der Regattazirkus gibt sich bei Europameisterschaften, Weltmeisterschaften und der German Open die Ehre an Orten wie Neustadt/Holstein, Porto Cervo/Italien, Hyeres/Frankreich, Tallin/Estland, Aarhus/Dänemark, Torbole/Italien.

Noch hält uns das Wetter von der Weiterfahrt ab. Unbeständig mit Schauerböen, da bleiben die Räder verstaut und wir machen uns auf zum alten Stadtkern von Middelfart. Der Wind bläst Dreck hoch und mir einen Partikel ins Auge. Schnell weg von der Strasse in einen Park in den Windschatten. Hier sind einige Vogelkäfige mit Kleinpapageien und Wellensittichen aufgestellt. „ So einen grünen hatte ich als Kind, er hiess Koko“, bemerke ich. Schilder informieren darüber, dass die Vögel gegen Ratten geschützt werden müssen. Ratten sind sowieso ein Thema, denn an den Ausgängen und Parkplätzen von Supermärkten, in Gewerbegebieten, vor allem dort wo Müllcontainer stehen, aber auch in den Yachthäfen überall sind Rattenfallen aufgestellt.

Wir haben die Fussgängerzone von Middelfart erreicht und schlendern vorbei an individuellen Geschäften mit Kunsthandwerk oder auch einfach profanen Bedarfsdeckern wie der Drogeriefiliale der Kette matas. Eine schöne Idee finde ich das Bastelcafe. Man kann Bastelmaterial unterschiedlichster Art kaufen, setzt sich dann an einen Tisch bestellt ein Getränk oder einen Snack dazu oder auch nicht und malt, klebt, knetet drauf los. Das Konzept findet grossen Anklang bei den Däninnen. Junge Mädchen aber auch alte Damen sind emsig am werkeln und schwätzen dabei. Wir sind hungrig geworden und haben uns einen Fertigsalat geholt. Auch in Dänemark ist das Schuljahr für die Abschlussklassen beendet und wer es geschafft hat feiert. Und zwar lautstark. LKWs mit laut dröhnender Musik fahren vorbei. Tanzende Jugendliche auf der Ladefläche gröllen ausgelassen, Jungs lehnen sich raus und schlingernd verschwindet der Party Wagen um die Ecke. Es ist wohl Brauch eine  weisse Lotsenskippermütze mit schwarzem Schirm und Aufschrift der Schule zu tragen. Viele Mädchen und Jungs laufen so herum. Im Supermarkt kann man diese Kappen als Miniatur aus Papier zur Tischdeko kaufen.

Middelfart liegt an einer Schleife am Kleinen Belt, der hier im Grunde ein schmales Gewässer ist. Trotz der relativen Binnenlage hat sich eine ruppige Windsee aufgebaut, die in den für diese Situation sehr ungünstig gelegenen Häfen, alter Traditionshafen und benachbarter neuer Hafen an der Nordseite Middelfarts einen unangenehmen Schwell beschert. Wir bedauern die Bootsleute, die hier liegen. Eine Chartercrew, die mit einer Bavaria anscheinend grade angekommen sind, versuchen mit allen Crewmitgliedern das Boot gegen einen Aufprall an der Spuntwand  oder gegen den Nachbarlieger zu sicher. Ein Ehepaar unter Kuchenbude justiert ständig nach, obwohl bereits alles an Fendern und Leinen ausgebracht ist was sie wohl an Material an Bord haben. Die Yachten tanzen wild, haarscharf taumeln die Salinge der Boote aneinander vorbei. Reflektierende Wellen, die an die Hafenmauern klatschen ergeben ein Schaukelpiste, die aus allen Seiten auf die Hafenlieger einwirkt. Auch im alten Hafen sieht es nicht besser aus. Den grossen behäbigen Traditionsseglern aus Holz machen diese Bedingungen wenig aus. Zwei Yachten, dabei eine schicke Swan 45 aus Finnland versuchen sich in diesem Wasserrodeo in der Waage zu halten. Die Eigner seinen unbekümmert und sind wohl auf Stadtbummel, denn es ist keiner an Bord. Die Nachtruhe dürfte hier jedoch nicht zu gemütlich werden. Mittlerweile hat der Wind unsere Haare zu einer Filzmatte verknotet. Einige Minuten Ruhe vor der Düse finden wir im modernen Mehrzweckbau, der Restaurant, Cafe, Kino und Tourismusbüro der Stadt beherbergt. Ich möchte noch zur alten Werft am Hafen, die alte Walfangboote in Klinkerbauweise restauriert. Nochmal stemmen wir uns gegen den Wind und sind froh hinter der Werfthalle wieder in etwas Windschatten zu kommen.

Auf der Werft wird gearbeitet. Eine Frau im Arbeitsanzug und Schutzmaske vor Schleifstaub steigt von einer Leiter, die an einen Trawler gelehnt ist. Die Werfthalle selbst ist ein Sammelsurium von Werkzeugen, Stellagen, Holz in vielen Arten und Formen, die sich über die Jahrzehnte angesammelt haben. Hier wird bestimmt nichts weggeworfen, so macht es den Eindruck. Im Inneren sind Arbeiter über Werkstücke gebeugt und lackieren oder schleifen. Das erinnert uns an die lange Liste der Arbeiten, die sich trotz stetigem Beihalten bei einem älteren Schiff immer wieder häufen. Getreu dem Motto wie der Brite sagte: “a boat is a hole in the water you throw money in”.

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2 Comments

  1. Axel Kirch

    Toller Beitrag über Middelfart. Viel erlebt. Interessant, kurzweilig und spannend geschrieben mit superschönen Fotos. Die Walze ist der Hammer.

    • astarte_wp

      Die Natur bietet immer wieder Überraschungen, aber in diesem Fall gut, dass wir durch exakt zutreffende Vorhersage gewarnt waren.

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