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Ein leichtes Hüsteln dringt an mein Ohr. Doch hier ist niemand. Vermutlich habe ich mich zu sehr in das Bildnis von Gustav Adolph Herzog zu Mecklenburg Güstrow vertieft. Hat er mich eben angeblinzelt? Unmöglich!

Während ich meinen Blick zum Fenster wende und nach draussen schaue auf den Park, wieder ein unterdrücktes Husten. Jetzt lauter, dann verstummt es wieder. Der sechseckige Erkerraum im Schloss Frederiksborg ist leer. Ich trete tiefer in die Fensternische und warte angespannt.  In Schlössern spukt es, sagt man. Jede Wandfläche ist behangen mit überdimensionalen Porträts oder mannshohen Standbilder verblichener Adliger, vornehmlich des 16. Jhdts. Fürsten, Prinzen, Gräfinnen. Merkwürdig die starke Präsenz dieser Personen, so detailgetreu gemalt als wären sie lebendig. Zumindest einer von Ihnen geistert herum und spielt meinem Hirn einen Streich. Da, lautes trockenes Husten – jetzt gehe ich aber. Plötzlich scheint sich eine Wand an der gegenüberliegenden Aussenseite des Erkers zu öffnen. Nein es ist eine versteckte Tür. Heraus kommt eine Museumsangestellte in hellblauer Bluse und dunkler Hose, schneutzt in ein Taschentuch und verlässt den Raum in Richtung des nächsten grossen Saales. Vermutlich Corona Husten, denke ich bei mir und wäge ab was mir lieber ist: einige Viren oder ein Schlossgeist.

Ich reihe mich wieder in den Besucherstrom und inzwischen hat Axel ein überdimensionales vergoldetes Erdmodell mit Instrumenten für die Astronomie im Inneren fotografiert.

Der Morgen startete verregnet. Im zweiten Anlauf wollten wir den Tag nutzen, erneut zur Kunstsammlung Louisiana in Holbaek zu kommen. Axel ist zur Zeit laufmässig etwas eingeschränkt, durch eine Reizung der Achillessehne. Also rauf auf Rad oder rein in die öffentlichen Verkehrsmittel. So habe ich die zum Yachthafen nächstegelegene Haltestelle der Kystbahn (Küstenbahn) herausgesucht. In Regenmontur geht es nach Marienlyst. Kein Ticketautomat und der Versuch über die Mobil App Tickets zu kaufen scheitert. Während die Bahn vorbeifährt, bleibt uns nur der Fussweg zum Hauptbahnhof. Hier sind wir erstmal beschäftigt, im 7eleven Kiosk, bei einem hilfsbereiten Asiaten, die Reisjekort mit entsprechendem aufgeladenem Guthaben zu erstehen.

Nachdem die ganze Prozedur über die Bühne ist und wir uns in den Gleisanzeigen zurecht gefunden haben, sind mehrere Züge abgefahren. Schliesslich schlage ich vor: „ dann lass uns eine halbe Stunde warten und nach Hillerod.“ Die Zeit geht schnell um und wir steigen in den gelben Wagon, der wenig später anrollt. Die grüne Landschaft fliegt am Fenster vorbei. Zugfahren macht müde. Nach 35 Minuten sind wir in Hillerod. Umsteigen in den Bus. Der Fahrer ruft für uns extra die Haltestelle aus. Zum Glück ist das Schloss Frederiksborg nicht weit. Der rote Backsteinbau liegt an einem See umgeben von ausgedehnten Parkanlagen.

Heute beinhaltet der Bau das Nationalhistorische Museum mit tausenden zusammengetragenen Möbeln, Kunstgegenständen, Gemälden von ausserordentlichen Wert und führt durch 500 Jahre Geschichte Dänemarks. Das Schloss wurde von 1600 bis 1621 im Stil der Renaissance für König Christian IV gebaut.  1859 brannte ein Teil des Gebäudes ab.

Die umfangreichen Renovierungsarbeiten wurden zum grossen Teil privat finanziert. Vornehmlich von der Brauereidynastie  J.C. Jacobsen. Die Eröffnung des Nationalhistorischen Museums erfolgte auf Initiative des von der  J.C. Jacobsen Familie gegründeten Carlsbergfonds.

Kirchenschiff Schloss Frederiksborg

Prunkstück der Anlage ist die Kirche im Westflügel mit dem Originalinventar aus der Zeit Christians des Vierten. Die 1610 erbaute Kirchenorgel von Compenius ist eine der besterhaltenen Orgeln dieser Zeit auf der Welt. Von aussen entdecken wir den Restaurierungsbedarf. An vielen Stellen sind Gerüste aufgebaut und ganze Gebäudeteile mit Planen eingehaust. Verzierungen bröckeln und verfallen. Eine gewaltige Aufgabe diesen Kulturschatz zu erhalten. Im Inneren verlöre man schnell den Überblick in den 70 Sälen, Gängen, Treppen, Zimmern. So schaffen wir es auch nur einen Teil zu besichtigen, da wir den Reisegruppen aus dem Weg gehen und die Räume oft so überborden mit Gemälden oder Gegenständen sind, dass es einem bald zuviel wird.

Beeindruckend ist das Kirchenschiff mit den vielen Wappen, die die Wände des Emporen Rundgangs zieren. Interessant finde ich besonders die familiären Verflechtungen der Königshäuser und die Reisetätigkeit der Adeligen zur damaligen Zeit.

Genau genommen sind die vormals gekrönten Häupter Europas eine grosse Familie und die dänischen Könige die Urväter.

Der Sage nach gab es um 500 n. Chr. ein Königreich Seeland und eines auf Jütland. Um 725 besuchte der Bischof von Utrecht den jütländischen König Angantyr, den er härter als Stein und wilder als ein Tier beschrieb. Die Wikingerzeit entfaltete sich mit den Dänenkönigen Sigfred, den Karl der Grosse traf und in den folgenden Jahrhunderten gab es Horik I. Um 940 regierten die Dänenkönige Hardeknud Svendsen und Gorm Hardeknudsen. Dieser Gorm ist vermutlich Gorm der Alte. Der Stammvater des jetzigen Königshauses. Damit geht auf ihn das älteste Königshaus Europas zurück- Sechs Könige zählten zum Gorm Geschlecht, unter ihnen Harald Blauzahn.

Im Jahr 1047 ging die Königswürde auf Svend II Estridsen. Er war der Sohn von Estrid, Schwester des Königs Knud des Grossen. Estrid war mit dem angelsächsischen König Wulfsige verheiratet. Aus der Estrid Linie gingen viele Könige hervor. Margarethe I, Tochter von Valdemar Atterdag (1340-1375) herrschte von 1397-1412 über alle nordischen Länder. Im Jahr 1448 wurde der Herzogsohn Christian von Oldenburg als Christian I dänischer König. Das oldenburgische Königshaus regierte Dänemark bis 1863, als Frederik VII kinderlos starb. Sein Nachfolger wurde Christian von Glücksburg, ein Nachkomme von Frederiks Bruder Hans. Der Glücksburger wurde als Christian IX inthronisiert. Die jetzige regierende Königin Margarethe II ist eine Nachkommin von Christian IX im 5. Glied und im 32. Glied von Gorm dem Alten.

Es geht von Raum zu Raum. Wir schrauben uns höher über die steinernen Stufen der Türme  den Wegweisern folgend. Mal ist es schummrig in den Zimmern, um die wertvollen Gemälde vor Sonnenlicht zu schützen, dann wieder lichtdurchflutete Gänge mit Vitrinen, die kunstvoll bemaltes Porzellan enthalten. „ Bei so vielen Besuchern, Verwandten, Frauen, Kindern und vermutlich auch Mätressen ist klar, warum die so viele Räume brauchten“, bemerke ich. Uns schwirrt mittlerweile der Kopf von der Fülle der Exponate.

Jetzt brauchen wir eine Stärkung. Auf der Fussgängerzone von Hilleroed finden wir eine Bäckerei mit Aussensitzplätzen. Mittlerweile ist das Quentchen Sonne, das kurz durch die Wolken gedrungen ist, weg. Fleecepulli und Heissgetränk bringen aber die Lebensgeister zurück. Für Axel gibt es einen Brokkolisalat mit Croissant und für mich ein Brötchen belegt mit Rotkohl und Schweinebraten.  

Der Hunger veranlasst mich zu experimentieren, denn normalerweise ist das nicht meine Geschmacksrichtung. Doch hier stürze ich mich auf die deftige und reichlich belegte Handstulle mit grossem Appetit. A pro pro Geschmack bemerkt Axel: „ es ist schon komisch wie sich der Wandel von diesem barocken überladenen Einrichtungsstil zu dem speziell hier in Dänemark sehr nüchternen und klaren Design über die Jahrhunderte entwickelt hat. Wirklich ein grosser Kontrast.“ Ich antworte: „Mit dem Prunk wollte der damalige König Christian IV seine Stärke und seinen Reichtum zeigen. Er galt als der machtvollste nordeuropäische Monarch seiner Zeit.“ Er resümiert: „ Ja es war sehr beeindruckend, aber auch anstrengend.“ Ich schliesse mich dem an und erwidere:

„ Das wäre damit abgehakt. Die Schlösser in Kopenhagen wie Charlottenlund, Amalienborg und Christiansborg besichtigen wir höchstens von aussen. Was meinst Du was los ist, wenn die Gruppen von den Kreuzfahrtschiffen, die täglich in Kopenhagen anlegen, da durch gejagt werden.