Heiligenhafen

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Mal wieder bestätigt wie exakt heutzutage die Wettervorhersagen stimmen, sind wir froh bei dem strammen Nordoster, der über die Marina fegt, an einem geschützten Liegeplatz untergekommen zu sein. Neben uns eine Halberg Rassy mit älterem freundlichen Ehepaar in typisch nordisch korrekter Segelbekleidung.

Historische Segler im alten Hafen

Sie: Ringelshirt blau-weiss und makellose weisse Short, er: rote Short und blaues Polo mit blauen Sneakern. Beide braungebrannt und aus dem Ei gepellt. Das Schiff blitzeblank geputzt. Im kurzen Anstandsschnack unter Liegenachbarn erklärt uns der Eigner in einem Satz, dass er mit dem Werftinhaber von Henning und Steckmess befreundet ist, nach Hamburg muss morgen zu einem Termin, denn sonst würde man ja segeln. Aha, wir nicken artig und kümmern uns ums Aufklaren, während nebenan Besuch eintrifft, die eine ähnliche Info erhalten.

Die kommenden Hafentag sind ausgefüllt. Die Sonne ist unerbittlich und knallt aufs Deck. Der Wind ist kalt und bricht sich so an dem Feld der Masten, dass ein stetiges Pfeifen, Singen und Jaulen in einer auf- und abschwellenden Kakophonie über dem Hafen liegt. Unsere Rassy Nachbarn frühstücken im Cockpit. Jeder schaut schweigend in sein eigenes I-Pad, ihres rosa, seines blau. Bei der Familie an Backbord auf der Bavaria schnattern und kichern zwei Teenager Mädchen bis sich eine den Kaffee  versehentlich über die Hose giesst . Die Mutter wäscht alles und bald bläht sich der rosa Schlabberlook der Pubertierenden an der Reling. Ich bringt Müll weg, fülle Wasser auf und beginne meine Morgengymnastik an einem halbwegs windgeschützten Plätzchen zwischen einem Grillplatz und parkenden Autos so lange bis  ein wartender Chartersegler, der aussieht als sei er eine Woche nicht aus seinen Klamotten gekommen, einen Glimmstangel anzündet, natürlich ungeniert in Luv von mir, so dass der Wind mir seine unappetitliche Nikotinwolke herüberbläst. Schnell verschwinde ich und gehe auf Abstand. Die letzten Übungen auf vertrocknetem Gras am Parkplatz erledigen, bis beim Stretchen mit dem Kopf nach unten zwei getrocknete Hinterlassenschaften von Hunden in meinen  Blickwinkel kommen. Das ist die Zivilisation, der Massentourismus von dem ich mich nicht ausnehmen darf. Doch auf dem Rückweg träume ich vom Loch Alinge in Westschottland und seiner zumindest von Bord aus wirkenden Unberührtheit, sehne mich dorthin zurück. Lange hält der Moment nicht an, denn das Zickzack Ausweichen auf Promenade und Steg  erfordert wieder meine Aufmerksamkeit. Vorbei an Joggern, quer laufenden Kindern, Paaren mit Hund, der an langer Leine seine Richtung ändert, einem alten Herrn, der seine Ankerkette auf dem Steg auslittert, hinweg über Stromkabel,  vorbeiquetschend an einem Mann, der sein Dingi aufbläst, kehre ich zurück an Bord. Derweil hat der Skipper eine Schablone angefertigt für die anstehenden Metallarbeiten, um das neue Segel optimal anzuschlagen. Wir warten auf Montag und hoffen, dass die Arbeiten zügig erledigt werden können.

Am Nachmittag geht es zum Graswarder. Ich bin enttäuscht, denn eigentlich kann man nicht an den Strand gelangen. Entweder privat oder für Naturschutz gesperrt. Es bleibt der Blick vom Beobachtungsturm über die Landzunge. Draussen kämpfen sich die Yachten gegen die steilen, kurzen mit „white horses“ wie eine Freundin zu sagen pflegt, belegten Wellenkämmen gegenan.

Am Wochenende unternehmen wir zwei Fahrradtouren. Erst geht es nach Oldenburg in Holstein.

Das ca 10 km von der Küste entfernte Städtchen scheint vom Tourismus nicht gestreift zu werden. An einem Samstag wirkt der Ort wie ausgestorben. Bitter für den Einzelhandel und die wenigen offenen Cafes. Einzig eine Handvoll Motorradfahrer sitzt  am kopfsteinernen Marktplatz. Die Landschaft fliegt vorbei, entlang der Landstrasse geht es an grünen Kornfeldern und durch kleine Weiler. Ein Ortsschild weist nach Wandelwitz. Dann gibt es eine Autoschlange. Die freiwillige Feuerwehr marschiert mit Musikkorps und geschmückter Kutsche in aller Geduldsruhe über die Landstrasse.

In Oldenburg lernen wir, dass sich am Wochenende die Handwerksgilden formieren. Der Look der Herren ist Frack mit Zylinder und eine rote Rose im Knopfloch. Ein schöner Brauch, für den sich aber nur die ansässigen Dorfgemeinschaften zu interessieren scheinen. Es ist heiss, die Luft schwül, der Wind kühlt hier wenig. Auf der Rücktour bewährt sich die Elektrounterstützung, besonders auf den Steigungen, denn flach ist auch Schleswig-Holstein nicht.

Der Ausflug nach Grossenbrode führt uns zunächst am Uferweg über Ortmühle an den kleinen Yachthafen. Hübsch restaurierte Ferienhäuschen säumen den Weg, aber auch verfallene Exemplare, die darauf warten, dass ein neuer Besitzer ihnen wieder Leben einhaucht.

Grossenbrode hat sich stark gemausert, das 70er Jahre Flair vergangener Jahre ist an der Promenade einem modernen Look gewichen mit viel Holz und Strand-thematisierter Bepflanzung. Der im Abseits gelegene ehemalige Rentner Urlaubsort ist nun zu einem Mekka des Brett betonten Wassersports geworden. Sportliche Männer in Neopren beherrschen das Bild. Sie fetzen auf Kite Brettern mit Fallschirmsegel oder Brettern mit Foils und frei gehaltenem Kitesegel über das ruppige Wasser der Ostsee. Der auflandige Wind bietet dem kernigen Freizeitsportler beste Surfbedingungen.

Die Marina der Klemenswerft ist gut belegt an Land durch mindestens 100 Wohnmobile und im Hafen mit Booten. Auf dem Stellplatz mischen sich junge Familien mit Rentnern, Hundeliebhaber mit Wassersportlern. Es herrscht wirklich Hochbetrieb.

An der ehemaligen Dehlermarina im Grossenbroder See ist es ruhiger. Auf dem Rückweg verputzen wir noch eine Portion Antipasti vom Edekamarkt. Vor dem Supermarkt sind Holzbänke und Tische aufgebaut. Eine Gruppe Radfahrer am Nebentisch erzählt, dass sie grade aus Schottland in fünf Tagen hierher geradelt wären. Hut ab, denn trotz Fährüberfahrt ist das mal eine Leistung.  Wir haben noch Vorbereitungen für den morgigen Handwerkertermin zu treffen. Auf Wunsch des Metallbauers Schiff verholen an den Chartersteg, da der Werkstattwagen hier näher am Schiff platziert werden kann. Dann den Anker aushängen und auf den Steg legen.

Am Montag geht es um Punkt Acht los. Ein Klopfen am Bugkorb und kurz darauf ist das Nötige besprochen. Die Ankerwippe ist schnell demontiert. Das Markieren der richtigen Bohrlöcher dauert länger. Ein Bootsnachbar kommt neugierig herbei, denn für andere ist es immer spannend, wenn an Schiffen gebastelt wird. Er hat mit seiner Hanse 46 grosses vor: Ausrüstung für Langfahrt und dann um die Welt. Ob der kleine Bordhund schon von seinem Glück weiss, wenn er denn mitgenommen wird, bald tagelang nur eine Wasserwüste zu sehen und dass der begrenzten Auslauf auf der Fiberglasschale unter seinen Pfoten zu seinem neuen Leben wird?

Wir konzentrieren uns auf die richtige Anpassung der Metallarbeiten. Am nächsten Tag erfolgt die Endmontage und als Zusatzauftrag entwickelt sich beim Test noch ein verbesserter Ankerfeststeller, damit die Konstruktion weiter Stabilität gewinnt. Die Bordkasse ist bald geschmälert, aber dafür eine hoffentlich praktikable Lösung zur guten Segelführung des Genakers gefunden.

Den Erfolg das Projekt so zügig umgesetzt zu haben (heute wartet man auf Handwerker mindestens ein halbes Jahr) feiern wir mit einem leckeren Fischgericht bei Käptn Plambeck. Die letzten Einkäufe sind auch erledigt. Vor dem Aufbruch nach Dänemark habe ich noch die Gelegenheit genutzt, ein Geburtstagsgeschenk auf den Postweg ins Alpenländle zu geben. Bei der Bitte nach Verpackungspapier oder der Frage, ob das Kaufhaus eventuell einen Karton übrig hätte, wurde ich barsch abgefertigt, man sei keine Poststelle. Mit etwas Improvisationstalent ging die Sendung dann aber trotzdem auf die Reise. Heiligenhafen ist ein quirliger Urlaubsort mit einer grossen Marina, die wir immer wieder gerne anlaufen. Hier kommt keine Langeweile auf, denn die Mischung aus Sehleuten und Seeleuten, kombiniert mit vielfältigen Einkaufsmöglichkeiten und einem grossen Veranstaltungskalender rund ums Jahr sind stets attraktiv.

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1 Comment

  1. Brigitte

    As always, I really enjoyed reading your blog.

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