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Cuxhaven

Am nächsten Morgen werden wir von Baulärm geweckt. Flurförderfahrzeuge röhren lautstark und kurven eng vor Bullis Nase mit Paletten voller Pflastersteine jonglierend herum. Ein Bautrupp in leuchtend gelber Warnkleidung packt die Paletten ab.

An der Kugelbake Cuxhaven

Dann ist plötzlich Ruhe – Frühstückspause bei den Männern. Wir nutzen die Pause für unser morgentliches Umräumen, Wasser heiss machen und Katzenwäsche sowie Frühstücksvorbereitungen. Dann geht es draussen weiter während wir frühstücken, aber zum Glück in einiger Entfernung. Ein ganzer Strassenzug mit Bürgersteigen und Unterbau wird erneuert. Nachdem noch einige Büroarbeit erledigt wurde, fahren wir zum Fähranleger. Von weitem schon sehen wir die lange Schlange der wartenden LKWs und stellen schnell fest, dass es leider keine PKW Spur gibt, also vermutlich müssen wir uns auf ein längeres Warten einstellen, da die Fähren zwar jede halbe Stunde übersetzen, aber nicht allzuviel Platz haben. Doch kaum eine Viertelstunde später kommt ein Mann auf einem Roller angefahren ebenfalls im gelben Leuchtsicheheits Outfit und winkt die drei PKW vor uns an den LKWs vorbei. Uns weist er allerdings an zu warten. Ich wende mich an den Skipper, den ich auf Bullitouren Driver tituliere und sage: „Wir haben wohl Pech und müssen jetzt auf die nächste Fähre warten.“ Doch einige Minuten später gibt der Fährbegleiter uns das Zeichen zum GO. Wir ergattern den letzten Platz hinten an Steuerbord neben einem 40 Fuss Container LKW. Motor aus und Handbremse an. Hinten geht schon die Klappe hoch und die Fähre löst sich mit starkem Schub vom Ufer.

Das Wetter hat aufgeklart und wir geniessen die Elbfahrt mit einem Rundgang und klettern zum Oberdeck. Im braunen Elbwasser bahnt sich die Fähre ihren Weg. Bis auf ein älteres Paar bleiben alle anderen Fahrer sitzen, denn der Wind bläst. Doch wir meinen, es wäre schöner Segelwind und eigentlich sind die Temperaturen mild für den Nordeuropäer. Zwischen den LKWs, Autos, einem Wohnmobil, Kleinlastern bahnt sich ein Fährangestellter den Weg und kassiert.

Nach einer guten halben Stunde rollen wir drüben in Wischhafen wieder ans Ufer. Bulli hat sich vorher noch bemerkbar gemacht mit dem Anspringen der Alarmanlage inklusive Blinkerleuchten. Mein Driver hatte vergessen den Fähremodus zu aktivieren, da der Alarm auch auf starkes Wackeln reagiert.

Wir passieren das Sturmflutwehr und über schmale Landstrassen geht es zur Nordseeküste. Apfelbaumplantagen, kleine Weiler mit den typischen Marschland Gehöften in Backstein durchdrungen von weiss lackiertem Holzfachwerk und eine endlose Marsch- und Ackerlandschaft wechseln sich ab. Die Natur, aber auch die Schuppen, Häuser, abgestellte Geräte, Karren, Scheunen, Ställe sind von Grünspan überzogen und wirken gebeutelt von Dauerregen, Wind und ständig feuchter Luft.

Cuxhaven Hafenskyline

Vor Cuxhaven wird es industriell. Wir passieren riesige Felder mit abgelegten monströs wirkenden Windradflügeln, Hallen und endlosen Flächen auf denen neue Autos parken sowie voll mit Autos gepackte Verladezüge. Wir parken in der Nähe des alten Fischereihafenbeckens. Endlich Seeluft und Möwengeschrei. Das ist doch wieder zu schön!

Dick verpackt den kalten Norder erwartend laufen wir gleich los richtig Yachthafen. Doch bald verschwinden die Fleecejacken, Mütze, Schal und Handschuhe im Rucksack. Die Luft ist mild und es ist absolut windstill. Als wir Sicht auf den Yachthafen bekommen stutze ich. Zum Driver gewandt:“ Das gibt es doch nicht, kein einziges Boot im Hafen, das hätte ich nicht gedacht.“

Seezeichen bei der Alten Liebe
Yachthafen Cuxhaven – leer

Dafür überwintern im Innenhafen etliche Yachten. Unter anderem eine Aphrodite, die hier ihren Heimathafen hat und schon etliche Jahre, um nicht zu sagen Jahrzehnte auf dem Buckel hat. Sie gibt ein trauriges Bild ab und wie der Engländer es bezeichnen würde: “neglected”.

Sonnenstrahlen verleihen den späten Nachmittagstunden plötzlich einen warmtönigen Glow. Nachdem wir ein bischen auf den Stegen im Innenhafen herumgestromert sind, geht es Richtung Kugelbake immer der Nase nach Richtung See über den Deich.

Cuxhaven Innenhafen

Zur linken die erste Häuserzeile hinterm Deich. Von einem Appartmenthaus aus einem oberen Stockwerk füttert ein weisshaariger Herr im grauen Pullunder und blauen Hemd eine Schar Möwen. Im Flug schnappen sie gekonnt die Brocken. Es ertönt ein Schifferklavier. Schwermütige Shanties zerreissen die Stille und gehen einem ins Herz. Meine Augen suchen angestrengt die Quelle der Musik. Da zwei Fenster weiter links im gleichen Haus sitzt ein anderer alter Mann mit dem Instrument am geöffneten Fenster.

Vorne liegt die Kugelbake. Das Wahrzeichen Cuxhavens und früher ein wichtiges Seezeichen für die Schiffahrt. In dem 29 Meter hohen, hölzernen Turm brannte ehemals ein Feuer. Die Kugelbake markiert den Anfang der Nordsee oder andersherum das Ende der Elbe.

Wir sind bald am Strand und können im Dunst die Insel Neuwerk erkennen. Nur wenige Leute sind heute unterwegs. Ein älteres Ehepaar steht einige Meter entfernt und der Herr wendet sich an seine Frau mit den Worten: „ Nach Neuwerk da wollte ich immer schonmal hin.“ Er nimmt mir quasi das Wort aus dem Mund, denn ich habe genau den gleichen Gedanken.

Wir wenden uns Richtung Kugelbake und sind der Seestrasse hier am nächsten. Das Watt liegt blank vor uns und es wirkt als würden die Schiffe über Land fahren.

Wir geniessen wie Meer und Himmel zu einer Einheit zu zerfliessen scheinen. Dann kriecht die Abendfeuchte langsam in die Glieder und wir treten den Rückweg an, der sich hinzieht.

Erst im Dunkeln stehen wir wieder vor dem Bus. Jetzt haben wir keine Lust mehr zu kochen und entscheiden uns, auch gleich fussläufig in den nahegelegenen Portugiesen einzufallen. Das in einem Lagerschuppen gelegene Restaurant beherbergt schon eine lustige Weihnachtsfeiergruppe, ansonsten ist es zum Glück noch leer. Im Fischrestaurant zwei Schuppen weiter sassen zwei Gäste in Jacken und beschwerten sich, dass es viel zu kalt sei. Wir sagten sorry und traten den Rückzug an, denn wir wollten uns der Ungemütlichkeit nicht aussetzen. Der Portugiese wartet mit einem völlig schrägen Boden auf. Der Schuppen ist zu einer Seite abgesackt und hat mindestens einen Höhenunterschied von einem Meter von einer zur anderen Seite. Die Wirtsfamilie hat die Lösung: Kleine Podestinseln für einige Tische mit Seilgeländern abgetrennt. Unsere Nasen umströmt ein unangenehmer Toilettengeruch, aber jetzt bleiben wir sitzen und ergeben uns der skurillen Umgebung. Der Fisch schmeckt und das Schwestern- Mutter, Tante, Oma Team ist emsig, um das Wohl der Gäste bemüht, kocht und tischt auf was das Zeug hält. Gut gesättigt huschen wir die kurze Strecke durch die strenge nun doch recht kalte Abendluft zurück zu unserem Refugium auf Rädern.

Für die Nacht verholen wir uns zu einem Parkplatz hinter die grosse Martinskirche mehr von der Küste weg. Bei uns gehen die Rollos runter und bald haben auch die letzten Nachtschwärmer  ihre Autos weggefahren. Wieder wird es eine ruhige, erholsame Nacht. Gute Wahl, denn die Reviews über den Wohnmobilstellplatz direkt am Fähranleger und Yachthafen gaben Aufschluss, dass es auf dem von eingefleischten Camper kurz “Platte” genannten Stellplatz neben Flutlichtbeleuchtung auch dröhnende Schiffsmotoren die ganze Nacht “auf Haus” gibt.