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Ab 7.00 Uhr schnarren die ersten Bugstrahlruder im Hafen. Wir haben keine Lust auf den Wettbewerb um die Plätze im nächsten Hafen, schlafen lieber aus und lassen den Tag sich entwickeln ohne konkretes Ziel. Da bleibt am Morgen noch Zeit, während der Skipper sich noch einmal umgedreht hat,

Am Steg des Thuro Segelclubs
Gambit Fjord

zum Buch zu greifen und den fesselnden, unverblümten Reisebericht der Klees weiterzulesen. Die beiden Segler  Friedl und Ursel Klee brachen 1977 mit ihrer „Vagant“, einer 9,20 Meter langen Dehler Yacht vom Typ Optima zur Weltumrundung auf. Zu dieser Zeit mit einem so kompakten Boot und rudimentärer Ausrüstung die Ozeane zu bezwingen, war im Vergleich zu heute ein richtiges Abenteuer.

Vor dem Aufstehen lese ich die Beschreibung der Passage von der Karibikinsel Curacao zu den San Blas Inseln und dem Panamakanal. Wie angenehm ist es doch selbst gemütlich ins Daunenbett gekuschelt nur vom möglicherweise drohenden Piratenüberfall zu lesen, statt selbst in tiefdunkler Nacht der Gefahr ausgesetzt zu sein.

Die Klees schildern in ihrem Buch: Immer mal wieder liegt Land im Wege…

„Die Behörden in Curacao warnen beim Ausklarieren eindringlich: bleibt mindestens 100 sm weit draussen, haltet Waffen bereit und lasst niemanden an euch heran. Da ist sie wieder die Warnung vor einer Gefahr, die man im 20. Jahrhundert nicht mehr für möglich halten möchte. Aber die Küstenbewohner Kolumbiens betrachten nun mal von jeher alles, was die See in ihre Reichweite bringt, als ihr Eigentum. So empfehlen Segler Handbücher zwar Cartagena zu besuchen und sein einzigartiges spanisches Stadtbild zu besichtigen, raten aber dringend den Hafen nur bei Tage anzulaufen, auf dem kürzestens Weg zum Yachtclub zu fahren und bis dorthin auch auf Überfälle vorbereitet zu sein. Diese eher altmodische Piraterie bekommt durch das moderne Drogenproblem einen sehr bösen Akzent. In Kolumbien wird Marihuana erzeugt und nach Nordamerika geschafft. Der Handel blüht und das Transportproblem wird nicht selten zu Lasten friedlicher Segler gelöst. Viele Yachten werden gestohlen, manche aber verschwinden weit draussen auf See, werden später verändert, bei Rauschgifttransporten erwischt oder irgendwo als Wrack gefunden – ohne eine Spur ihrer rechtmässigen Besatzung. Die amtliche Warnung hört sich kaum anders an, als die Berichte in Yachtzeitschriften, die wir zu Hause kopfschüttelnd mit angenehmen Gruseln gelesen haben. Die Gefahr in eine solche Falle zu geraten ist nicht gross, aber eben doch konkret. Das sind ja schöne Aussichten!

Wir setzen unseren Kurs weit nach Nordwest ab und sind froh über jede Meile, die der mächtige Passat VAGANT über gewaltigen Seegang surfend voran reisst. Nachts fahren wir kein Licht, behaupten mit zwei Flaggen „Q“ (gelb) unter der Saling, dass die Besatzung ansteckend erkrankt sei und legen Lippenstife bereit, um das notfalls durch künstlerisches Punktieren sichtbarer Körperteile beweisen zu können. Als letztes Argument laden wir Signalpistole und Gewehr mit extrastarken Patronen und hoffen im übrigen, dass standesgemässe kolumbianische Piraten wenigstens zur Osterzeit mal in die Kirche gehen. Dort sind sie dann wohl auch, denn bis auf ein paar Frachter auf dem Weg zum Panama Kanal sehen wir nichts.“

Der Skipper ist wach und ich klappe das Buch zu. Bald rattert die Kaffeemühle und ist lautstark beschäftigt dem Skipper die Bohnen frisch zu mahlen. Kurz darauf geniesst er seinen ersten Espresso und liest die aktuellen Nachrichten.  Nach beendigter Morgenroutine heisst es um halb zehn Leinen lösen. Im Fahrwasser Richtung Langeland reihen wir uns ein in den Gänsemarsch der Yachten die entweder nur unter Genua, Maschine oder Vollzeug wie wir nach Osten segeln. Später knickt die Route nach Norden ab und das Segeln hört vor der Brücke bei Rudköbing auf, als sich die Fähre Rudköbing – Marstal mit Schallzeichen und kräftigem Schub ihr Wegerecht erobert. Schnell noch schlüpfen wir durch und brauchen die Maschine auch, um die kräftig setzende Strömung im Fahrwasser zu meistern. Unentschlossen wie es weiter gehen soll, entscheiden wir uns gegen ein Aufkreuzen zwischen Fünen und Langeland, sondern Astartes Bug richtet sich zum Fahrwasser nach Svendborg. Flankiert von den Inseln Tasinge und Thuro windet sich der schmaler werdende Sund vorbei an grünen bewaldeten Ufern. Wir steuern den Hafen des Thuro Segelclubs an und kommen an einem Aussenplatz mit herrlicher Aussicht über die langgestreckte Thuro Bucht unter. Wasserstandsänderungen und der Strömung sollte man Beachtung schenken. Der Steg wurde vom einem  Vorgänger so stark geküsst, dass eine tiefe Kerbe blieb.

Thuro ist eine der 55 Inseln des Archipels der dänische Südsee und gehört zum Municipal Svendborg, dass ca. 6 km entfernt liegt  und über einen Damm erreichbar ist, der 1935 gebaut wurde, um Thuro mit Fynen zu verbinden. Im Gambit Fjord, dem sehr geschützter Seitenarm auf den wir blicken und  der bei Ankerliegern sehr beliebt ist, entdecken wir in der Ferne die „Hitchhiker“ unseres alten Ehepaar wieder.  

Die Anlage des Segelclubs ist phantasievoll und hübsch am Steilhang angelegt, sehr sauber und mit allem notwendigen für eine aktive Segeljugend ausgestattet. Kajaks, SUPs, Optimisten und verschiedene Jollentypen lagern hier. Im Trockenraum für Segel hängen bunte Spinnaker. Hübsche Blumenkästen mit roten Geranien verzieren die hölzernen Sitzgruppen.  Der Thuro Seijlclub hat 600 Mitglieder mit einer sehr aktiver Regattagruppe und bietet viele Veranstaltungen über das Jahr. Nach dem Anlegen will ich grade die Bordschuhe gegen meine Landtreter wechseln und mache dabei eine unliebsame Entdeckung, als ich mir die Socken hochziehe. Ein roter Fleck zwei Euro Stück gross am linken Bein etwas oberhalb des Knöchels. Etwas gross für einen Mückenstich und es juckt nicht. Ich hab doch nicht etwa zuviel über rote Punkte gegen Piraten gelesen? Merkwürdiger Zufall. Also erstmal ignorieren, vielleicht geht die Sache von alleine weg. Wir erkunden Svendborg per Rad.

Die Strecke nach Svendborg bietet schöne Aussichten über die Wasserarme, gesäumt von grünen Ufern mit kleinen Häuschen und hier und da ein grosses Anwesen mit ausladenden Parkanlagen. Starke Strömung sprudelt unter der Brücke zwischen Thuro und Fynen. Thuro By ist ein hübsches Dorf mit putzigen Häuschen. Bäckerei, Supermarkt und den Kros zum Einkehren. Auch eine kleine Brauerei hat sich hier angesiedelt. Das warme Sommerwetter reizt zum Baden. Camper, Wassersportler, Radtouristen bevölkern die Szenerie. Der Hafen von Svendborg strotzt vor buntem Treiben. Der vollbepackte Ausflugsdamper setzt achteraus vom Kai ab.

Die Yachtstege sind gut belegt mit kleinen Booten aber auch grossen eleganten Seglern und weissen blankpolierten riesigen Motoryachten. Eines lässt die Motoren röhren, um einer Gruppe Eventgäste an Bord zu imponieren. Übermütig springen Jungs ins Wasser und kleine Mädchen an der Hand ihrer Mutter schlecken Eis.

Wir müssen zum Schiffsausrüster, um ein neues Schlauchstück für das Kühlflüssigkeitsausdehnungsgefäss zu kaufen, denn der alte Schlauch ist am Ende eingerissen und leckt etwas. Der Skipper war erfolgreich und der aufgerollte Schlauch verschwindet in der Packtasche.

Beim Schiffschandler

Mittlerweile hat sich mein Fleck weiter ausgebreitet. Eine Apothekerin verweist an eine Hotline für Touristen und empfiehlt dringend den Besuch im Krankenhaus. Natürlich ist Wochenende und ich muss zur Notaufnahme. Nach kurzem Warten bin ich dran. Die zwar freundliche Dame ist allerdings nicht zu überzeugen, mir vorsorglich Antibiotika zu verschreiben, dass ich leider ohne Rezept nicht bekomme. Ach es sei wohl nur ein Insektenstich. Ein Zeckenstich würde anders aussehen. Einfach mal zwei Wochen warten und wenn nicht weggegangen, dann woanders hin, meint sie.  Sie hat schnell in zwei Minuten im Internet ein Foto angeschaut und entschieden. Ich muss mich auf ihren Rat verlassen und habe aber ein ungutes Gefühl, da Intensität und Grösse des Flecks weiter wachsen.

Wir schieben die Räder durch die Fussgängerzone vorbei an vielfältigen Geschäften, oft mit Keramik oder anderem Kunsthandwerk. Auf dem Marktplatz spielen zwei Musiker Jazz. Es ist eine tolle Atmosphäre. Cafes, Restaurants sind voll besetzt. Jeder geniesst das gute Sommerwetter.

Hochbetrieb herrscht am Badestrand und der Eisbude. Ein Plakat zeigt die Yachtmode aus dem Jahr 1910. Die Dame in lang und der Herr im steifen Gehrock mit Kapitänsmütze.

Villen aus der Zeit der Jahrhundertwende sind bis heute erhalten und gut gepflegt. In Toplage am Wasser sicher ein Vermögen wert. Jedenfalls ist es unübersehbar: hier lässt es sich gut leben. Besonders Thuro ist sehr hübsch mit den vielen gepflegten Gärten mit bunten Blumen, Bootsstegen und reetgedeckten Häusern.

Wir geniessen am Abend die Stille im Hafen. In einer Ecke bei schwarz geteerten alten Fischerhütten sitzt eine Gruppe Männer raucht und plauscht. Ein Baum über ihnen ist über und über mit Schnullern verziert.

Einen traurigen Anblick bietet eine Elvström Yacht ohne Mast mit Heckschaden, die einen vergammelten Eindruck macht. Mit Grünspan überzogen und vernachlässigt, fragt man sich nach der Geschichte die dahinter steht. Aber das Boot behält sein Geheimnis über seinen langsamen Verfall für sich.

Wir hieven die Räder an Bord und unsere übervollen Packtaschen, denn für den morgigen Tag haben wir frisch eingekauft. Besuch hat sich angekündigt und da soll es einige leckere Happen in gemütlicher Runde im Cockpit geben. Am nächsten Vormittag trifft Jorgen ein. Wir winken sobald sein Boot Richtung Marina einbiegt. Nach einer herzlichen Begrüssung, zeigt er uns seine SV Venus. Ein Schiffchen  ist ideal für den Einhand Einsatz. Vor etlichen Jahren haben wir Jorgen im Hafen von Newlyn, Cornwall kennengelernt. Er war Skipper mit seiner Crew, die er scherzhaft  seine „boys“ nannte. Gemeinsam haben wir eine Wartezeit auf ein gutes Wetterfenster verbracht, um zu den Scilly Islands zu segeln. Im Gegensatz zu uns, ist ihm dies gelungen. Wir mussten die Inseln seinerzeit auslassen und Lands End direkt runden. Über die Jahre haben wir uns in verschiedenen Häfen wiedergesehen, teils per Zufall.

Nun gab es wirklich viel nachzuholen und Erlebnisse auszutauschen. Bei Krabbensandwich und leckerem Apfelkuchen verbringen wir schöne gemeinsame Stunden. Wir erfahren viel über die dänische Werft LM. Vom Möbelbau über Yachtbau ist das Untenehmen heute einer der grössten Hersteller von Rotorblättern und Bauteilen für Windkraftanlagen. Der Tag klingt aus beim Pizza Essen in Thuro By. Am nächsten Morgen brechen beide Boote früh auf. Für uns geht es zurück Richtung Süden und Jorgen möchte noch die Insel Stryno erkunden. Inzwischen ist mein vermeintlicher Insektenstich weiter erheblich angewachsen und gemeinsam haben wir beratschlagt, dass es doch besser ist, einen Hautarzt in Deutschland aufzusuchen. Der Wind entscheidet die Richtung und so fällt die Wahl auf Flensburg.