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Iiiiiiiiioooonnng, Iiiiiiiiioooonnng,…draussen lärmt ein Schwingschleifer. Das auf- und abschwellende Geräusch potenziert sich in meinem Schädel zum Vorschlaghammer.

Flautensegeln auf der Flensburger Förde

Ich liege im Salon auf dem Sofa, alles ist abgedunkelt, hänge schwer in den Seilen. Starke Kopfschmerzen, Übelkeit, geschwollene Lymphknoten – es geht richtig rund. Dazu ein heisser Tag mit 28 Grad in der Kabine. Dabei fühlte ich mich morgens noch unbehelligt vom Ungemach und wir verliessen die Flensburger Förde die ersten Meilen unter Motor, später gingen die Segel hoch, als wir unseren Kurs anliegen konnten. Gemeinsam hatten wir am Vorabend beratschlagt uns weiter Richtung Kiel zu verholen, denn dort ist eine Uniklinik, da sich die Rötung an meinem Bein noch vergrössert hat und nun zu spannen und schmerzen begann. Bei leichtem Wind arbeiteten wir uns gegen Osten. Die Sonne sticht heiss und ich darf sie nicht an meine Haut lassen, denn es besteht erhöhte Sonnenbrandgefahr durch die Antibiotika Einnahme und das habe ich schon zu spüren bekommen auf unserer letzen Fahrradtour.

Ab Langballigau legte die Brise zu.

Mit Sonnenschutz

Plötzlich wurde mir sehr mulmig und ich sagte zum Skipper: „ wir müssen zum nächsten Hafen, etwas stimmt nicht.“ Er antwortet: „ die nächste Option wäre Sonderborg.“ Ich wieder: „ Ok, dann auf dem schnellsten Weg dort hin.“ Mittlerweile musste ich mich hinlegen und schaffe mit letzter Kraft die Vorbereitungen zum Anlegen. Der Wind ist inzwischen bissig geworden. Das gab es in unserer gesamten gemeinsamen Segelhistorie noch nie: der Skipper muss selbst die Festmacher anbringen, da ich es nicht mehr schaffe. Vor dem Hafen nehme ich alle Kraft zusammen und richte noch ein paar Fender, Anleger im überfüllten Hafen auf einem der letzten Plätze neben einem Motortrawler, der, wie wir später feststellen, restauriert wird und das Werkeln an dem betagten Holzschiff nicht lautlos vonstatten geht.

Mir geht es richtig schlecht und ich verschwinde sofort unter Deck. Der Skipper ist besorgt. Er recherchiert und versorgt mich mit Infos, ob es Nebenwirkungen vom Antibiotika sein können oder der Borreliose Erreger im Körper tobt. Laut Beipackzettel tritt die erste  Wirkung des Medikaments zwischen 24 und 48 Stunden nach Einnahme ein. Gestern gegen Mittag hatte ich die erste Tablette eingenommen.

Die Zwangspause wird genutzt, um einen Defekt zu beheben, der sich auf der letzten Fahrt herausgestellt hat. Unsere grossen Rutgerson Blöcke auf dem Achterdeck  haben sich eingefressen. Die Scheibe unter der drehbaren Rolle ist verschlissen und hat sich in die unter Aufnahme gefräst durch unzählige Drehbewegungen über die Jahre.

Reparatur der achteren Blöcke

Bevor wir nicht sicher sind, ob es überhaupt einen baugleichen Ersatz gibt, muss eine provisorische Reparatur eine weiter fortschreitende Beschädigung aufhalten. Der Skipper demontiert die Blöcke. Kein leichtes Unterfangen, da sie für den enormen Druck der Schoten entsprechend dimensioniert und fest durch das Deck verschraubt sind. Kopfüber wird in der Backkiste gearbeitet bei stehender Sommerhitze. Das kostet einiges an Schweiss. Schliesslich sind die Beschläge ausgebaut, werden gereinigt und zerlegt. Aus einem Schneidebrett zelebriert Axel die Notlösung. Die Aktion zieht sich über den ganzen Nachmittag und ich versuchte ab und an vom Krankenlager aus zu assistieren.

Am Abend schliesslich lässt der Kopfdruck nach. Ich muss mich bewegen und Luft schnappen. Am Hafen haben sich Oldtimer eingefunden. Die Besitzer sind stolz auf ihre restaurierten Fahrzeuge und die Liebe zum Detail lässt sich erkennen. Wir laufen über die Stege, Boote schauen, für mich zur Ablenkung. Wir bleiben vor einer Najad 36 stehen und sehen uns interessiert das Deck an. Es ist nagelneues Flexiteak, erstklassig verlegt.

Flexiteak aus Kunststoff auf der Voyager

Während wir diskutieren, da wir auf der Bootsmesse bereits beim Hersteller Infos für so ein Projekt eingeholt hatten, steckt der Eigner seinen Kopf aus dem Niedergang und kommt zum Bug. Ein angeregtes Gespräch entwickelt sich. Sein Counterpart erscheint und der Eigner stellt sich und seinen Partner vor: „ Ich bin Matze und das ist mein Mann Björn. Wir wollen mit dem Boot in zwei Jahren starten auf Langfahrt.“ Die „Voyager“ hat nach Kauf bereits einen neuen Motor erhalten und nun neben vielen anderen Kleinigkeiten das neue Deck. „ Letzten Sommer hat es überall durchgeregnet, da mussten wir ran. Wir sind bei youtube, da könnt ihr Euch das ganze Projekt ansehen.“ Bis es dunkel wird und die Mücken lästig werden, unterhalten wir uns angeregt mit den beiden Seglern. Sie erhalten Routentipps von uns und wir Einblick in die umfangreichen Überholungsarbeiten und ihre Pläne. Als wir uns im Dämmerlicht wieder zum Schiff zurückbewegen, meint der Skipper: „ Du bist eben eine Betriebsnudel, warst ja gar nicht mehr zu bremsen, aber das ist für Dich genau das Richtige, dann geht es Dir auch wieder gut.“ Recht hat er, doch glücklicherweise hat das Medikament gewirkt und wie durch ein Wunder verschwindet die Rötung am Bein im ähnlichen Schritttempo über die nächsten Tage wie sie sich ausgebreitet hat. Der nächste Tag ist sicherheitshalber ein Ruhetag, um zu schauen, ob sich die Gesundheitslage bei mir wirklich stabilisiert hat. Der Skipper geht joggen und später laufen wir nach Sonderborg City. City deshalb, weil das Grenzstädtchen am Alssund sich nun einen modernen Anstrich gibt mit erneuerter Promenade, futuristischem Hotelneubau am Wasser und einem architektonisch modernen Universitätsgebäude.

Dies alles im starken Kontrast zur Altstadt auf der anderen Uferseite und der trutzigen Backsteinburganlage, den Eingang zum Stadthafen markiert. Um Besucher muss  Sonderborg allerdings nicht bangen. Am Strand versammeln sich Jungend und jung Gebliebene vor einer Live Musikbühne. Eis und Polserwürstchen haben Hochkonjunktur. Die Stimmung ist ausgelassen.

Am Hafen wird rangiert und Sehleute flanieren vorbei an Seeleuten, die ihr Anlegebier geniessen mit Blick auf die Vorbeiziehenden. Eine Gruppe internationaler Skulpteure hat Holzarbeiten ausgestellt. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt wie man an den teils eigenwilligen Kreationen, die von einem Insider Klientel, dass durch die typische etwas alternative Bekleidung und Frisur auffällt, begeistert fotografiert wird und heiss mit den Kunstschaffenden diskutiert wird, während der gemeine Tourist doch eher amüsiert oder despektiert an den Ausstellungsstücken vorbeigeht. Auch wir haben mittlerweile genug gesehen und laufen zur Marina zurück. Unser Bootsnachbar ist inzwischen weitergekommen und hat das Deck seiner Achterkabine fertig abgeschliffen und geölt.

Am nächsten Morgen gebe ich grünes Licht für die Weiterfahrt. Kiel ist aus dem Kopf und mit guter Zuversicht kann der Sommertörn nun endlich starten. Auf nach Norden und endlich das Segeln geniessen ist die Devise. Doch erst muss die Klapp-Brücke in Sonderborg pünktlich passiert werden. Tankstopp und Anfahrt werden vorher ausgeklügelt, um zeitlich planmässig vor der Brücke zu sein. Hier tummeln sich schon viele andere Boote, um das Nadelöhr zu passieren. Weitere Boote lösen sich vom Kai. Die Brücke hebt sich und bereits bei roten Lichtern preschen die ersten Ungeduldigen vor wie junge Fohlen. Der Pulk presst sich unkoordiniert durch die Engstelle, Gegenverkehr läuft schon. Eine geordnete Durchfahrt sieht anders aus.

Der südliche Alssund ist schmal und wir empfinden uns wie auf einem Wasser Highway zur Rush hour. Doch bald kehr Ruhe ein und die Boote verteilen sich auf verschiedene abzweigende Arme, die Lage entzerrt sich.

Wir geniessen das leichte Sommersegeln. In Höhe der Insel Arö verdunkelt sich der Himmel und dichte Wolken hängen drohend am Horizont. Schnell bergen wir die Tücher, motoren die letzten Meter zum Eingang des Haderslev Fjord wo der Anker fällt. Dann fallen die Böen über Astarte her und wir verziehen uns unter Deck. Ein herrlicher Segeltag geht zu Ende und ich lasse mich erschöpft aufs Sofa fallen und merke, dass ich meine Kräfte einteilen muss und noch nicht wieder auf 100 Prozent Leistung bin.