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„Junge, Junge wo habt ihr mich hier abgestellt? Das ist ja eine Gesellschaft! Alter Subaru mit verwarztem Inneren und schon verblichenem Lack ohne Nummernschild. Anhänger, Pflugschar. Dann noch dieser alte Citroen in dem schrecklichen Goldton.“ So höre ich Bulli raunzen.

Panorama bei Leontica

Wir sind in Leontica. Einem abgeschiedenen und wie ausgestorben wirkenden Dorf an der antiken Passstrasse des Nara. Hier trifft das Bleniotal auf die Leventina. Es ist sonnig und mild. Warmer Wind streicht freundlich über die Haut und die Sonne wärmt kräftig. Ja in einem hat unser Bulli recht. Es ist eigentümlich überall stehen Autos rum ohne Nummernschild. Es sind alte Gurken, vermutlich Sommerautos der Anwohner und Zweitwohnungsbesitzer, die hier abgestellt sind.

In der Schweiz benötigt man nur ein einziges Kennzeichen und kann dieses beliebig an seinem Fuhrpark befestigen. Eine praktische Angelegenheit. Fernab der Haupttrasse, die sich mit ordentlich Gefälle Richtung Süden nach Aquarossa ablässt, sind die Serpentinen, die die Dörfer an den Hängen erschliessen, noch steiler, enger und schmaler. Zum Glück kaum Gegenverkehr, denn es passen keine zwei Autos auf die Strasse. Zurücksetzen ist hier ein Muss, aber teils halsbrecherisch. In Leontica tanken wir Wasser auf am Brunnen, besichtigen die Kirche und stellen enttäuscht fest, dass der Sessellift bereits geschlossen ist. So geht es mit Wasser und Stullen im Rucksack die schweisstreibenden steilen Wiesen unterhalb des Liftes mühsam per pedes nach oben. Schmale Trampelpfade vom Vieh sind kaum auszumachen. Endlich finden wir den Einstieg zum offiziellen Wanderweg. Vom Zwiebellook tragen wir nur noch die letzte Schicht. Wirklich warm hier oben! Unser Tagesziel erreichen wir nicht. Die Tage sind bereits kurz und über die steilen Steintreppen, die streckenweise zu bewältigen sind, wollen wir nicht im Dunkeln gehen. Nach einer Stärkung mit Weitblick über Gipfel und Täler machen wir uns wieder an den Abstieg. Auf einem abgelegenen Dorfparkplatz verbringen wir eine ruhige Nacht. Am nächsten Tag entdecken wir dann noch per Zufall die sehenswerte Kirche Negrentino. Ein Zeitzeugnis aus dem ca. 11 Jhd., eines der ältesten Gotteshäuser im Tessin. Eine moderne Hängebrücke führt über eine Schlucht. Fünf Raubvögel zähle ich am Himmel. Es müssen Adler sein, der Grösse nach zu urteilen. Ein majestätischer Anblick wie sie ihre Kreise ziehen, nahezu ohne einen Flügelschlag durch die Thermik gleiten.

Die Kapelle haben wir für uns, denn zu dieser Jahreszeit und an diesem Morgen gibt es hier keine Touristen. Laut Prospekt aus dem Infobüro in Blenio handelt es sich bei den vornehmlich in hellgrün, ocker und ziegelrot gehaltenen Malereien im Inneren um Fresken mit byzantinischem Einfluss. Die Dekormalereien erstrecken sich über fast alle Innenwände und sollen aus drei verschiedenen Epochen stammen wie wir lernen.

Freskenmalerei

Ich werfe eine Münze in den Schlitz der Metallbox, die scheppernd aufprallt und darf mir dafür eine kitschige Postkarte in übersteigerten Farben aus dem Regal nehmen. Doch halt, draussen stelle ich fest: hier ist es wirklich bunt. Die Luft ist klar und die Farben sind intensiv. Der strahlend blaue Himmel, das gelbrote Laub in der Sonne und das grün der Wiese. Eine gelungene Harmonie – möge es noch lange so sein, AMEN.