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Kino Seestern

Eine neue ca. 60 Fuss lange Yacht pendelt leicht in den Gutbändern.  Zwei  wuchtige Autokräne mit weit aufragenden Auslegern haben das Schiff im wackelnden „Griff“, während wir im Tonnenstrick die Riekmündung gen Westen verlassen.

Superyacht in Kränen bei Greifswald

Bei angenehmen Segelwinden, Sonne und die Ufer der sanft geschwungenen Hügel Rügens an uns vorbeiziehend, segeln wir den Strelasund entlang. Mit uns eine Schar Optimisten, ein traditioneller Boddensegler und jede Menge Yachten, Kleinkreuzer, Motorboote. Die bunten Blister oder Spinnaker knistern im Wind.

Der heutige Tag steht für Sommerfrische. Es ist eine pure Freude das nur vom Wasserplätschern und Windgeräuschen geprägte Dahingleiten zu geniessen. Am Abend ankern wir bei ruhigem Wetter vor Gustow und tanken die laue Luft des Sommerabends, bis die Feuchte der anbrechenden Nacht aufsteigt und die wärmende Sonne am Horizont verschwunden ist.

Am nächsten Morgen passieren wir pünktlich die Ziegelgrabenbrücke. Vorbei an Stralsund geht es Richtung Barhöft zur Ausfahrt auf die Ostsee. Das Nadelöhr liegt bald hinter uns und wir können glücklicherweise den grossen Schlag nach Warnemünde segeln, denn der Wind fällt doch mal wieder vorlicher ein als angekündigt, aber der Winkel passt noch.

Schewäne auf der Sandbank im Strelasund

Es wird ein langer Seetag, denn der recht versandete Nothafen Darßer Ort darf nur im Notfall angelaufen werden was Schade ist, da eine Besichtigung des Darsser Leuchtturms und des Naturschutzgebietes lohnend wäre. Gegen Abend legt der Wind zu und verlangt vom Skipper beim Anlegen in einer sehr grossen Box im Yachthafen Hohe Düne nochmal seine gesamte Aufmerksamkeit. Wieder zerfliesst der Himmel in einem bunten Farbenmeer und die Kulisse am gegenüberliegenden Ufer mit Riesenrad, Leuchtturm und Hafenkränen reicht allemal als Motiv für Kitschpostkarten. Im Resort herrscht Urlaubsstimmung und das mondäne 5 Sterne Hotel ist gut ausgelastet. Elegante Damen in flauschigen, weissen Gästebademänteln halten schlanke Champagnerflöten in ihren wohlmanikürten Händen. Am Kai possieren Honeymooner Pärchen und posten ihre Küsschenfotos versunken in ihre Zweisamkeit. Bald ist es dunkel und Zeit für die Koje.

Warnomündung bei Sonnenuntergang
Im Yachthafen Hohe Düne

Um die Wartezeit bis zum nächsten passenden Windfenster für die Weiterreise sind wir nicht böse. Biete sich doch die Gelegenheit die hiesige Seite der Warnow zu erkunden. Wir hieven die Räder von Bord und bestücken die Satteltaschen für einen Tagestrip.

Endlich tauchen wir ein in diesen Landstrich, den wir auf vielen Segeltouren nur vom Wasser gesehen haben als dunklen Uferstreifen.

Es ist sehr heiss und die Urlauber streben zum Ostseestrand. Bald wird der Verkehr weniger und wir können bei Graal Müritz die Landstrasse verlassen. Weiter geht es zum Kultkino. Das Filmtheater im Wald ist ein Kulturdenkmal aus DDR Zeiten. Es liegt am Rand des grössten  Campingplatzes  der Markgrafenheide. Damals linientreu als Pionier Ferienlager „Alexej Maressjew“ benannt, war der Zeltplatz zunächst entstanden, als die ersten Camper 1955 ihre Zelte im Küstenwald wild aufschlugen, ohne Erlaubnis. Sanitäre Anlagen gab es nicht.

Hinter dem breiten Sandstrand konnte man sein Zelt im Schutz vieler Bäume aufbauen. Ein schattiges Plätzchen war garantiert. Es gab sogar ein gesondertes Areal für Camper aus dem “sozialistischen Ausland”.

Zelturlaub galt damals in der DDR als kapitalistisch dekadent.

Campingplatzausbau stand nicht auf der Prioritätenliste im Bezirk Rostock. Lieber baute man neue Satellitenstädte. So kam es zu DDR-üblichen Lösungen. Im Süden der Republik fehlten Ostseeferienplätze, in Markgrafenheide Nägel und Bretter. Zeltschein gegen Baumaterial lautete die Devise.

Auch heute noch ist es ein bischen wie eine Zeitreise. Neben dem Kino Buden mit Zuckerherzen und Brezen. Ein Funktionsbau mit Restaurant, Rezeption und Bücherei wirkt typisch sozialistisch. Man sieht das der Platz organisch gewachsen ist. Verschlungene Sandwege führen durch ältere und neuere Teile mit einem bunten Mix aus Retro Fahrzeugen, Zelten, alten Wohnwagen mit Vorzelt oder ohne, festen Lauben mit Trödel umzäunt oder auch nicht, Planen, Hängematten, Autos, Roller, Räder, Kinderspielzeug liegt herum. Da und dort ein moderenes Wohnmobil. Genauso vielfältig wie die Vehikel sind ihre Besitzer. Es gibt Würstchenbuden mit Menschenschlage vor dem Tresen, Selbstgriller oder Eisverkauf. Kurzum: wer hier urlaubt, darf keine Berührungsänste zu der Masse Mensch haben. Das war wohl früher schon so:

Der Zeltschein – wertvoll wie Goldstaub

Ob nun 3.000 oder 4.000 Urlauber im Sommer auf dem Platz zelteten – er war einfach immer zu klein. Der Zeltschein, Schlüssel zum Glück, musste bereits im November des Vorjahres beantragt werden und meistens gab es eine Absage. Aber wie so oft in der DDR fand sich im Tauschhandel ein Ausweg. Bodo, damals Chef der Rettungsschwimmer in Markgrafenheide, erinnert sich: “Na ja, Zeltschein, das war wie Goldstaub, man hatte immer einen guten Draht zur Zeltplatzleitung, zum stellvertretenden Zeltplatzchef, dem haben wir irgendwie was zukommen lassen. Nicht Geld, mal ‘ne kleine Flasche oder so, und dafür kriegten wir dann einen Blanko-Zeltschein mit Unterschrift und den haben wir dann wieder Freunden gegeben.”
 
Rettungsschwimmer – die Könige vom Strand

Die sportlichen Rettungsschwimmer im orangefarbenen Trainingsanzug waren nicht nur am Strand eine große Nummer. Rettungsschwimmer wurden im Konsum bevorzugt behandelt und mussten sich nicht am Ende der Warteschlange einreihen. Bodo genoss in dieser Zeit ein ganz eigenes Lebensgefühl: “Im Hintergrund war es DDR, und im Vordergrund war es Hawaii. Es war ‘ne Freiheit da, die dann auch nicht mehr da war, wenn ich 150 Meter auf die Straße kam und dann war ich wieder in der DDR.”

Alles unter Kontrolle

Weil der Strand zugleich Nordgrenze der DDR war, musste alles ordnungsgemäß vor sich gehen. So durfte niemand wild auf dem Campingplatz zelten. Nicht nur wegen Einnahmenausfalls, sondern auch um zu verhindern, dass jemand unbemerkt über die Ostsee die DDR verließ. Volkspolizei, Grenzpolizei, Kriminalpolizei, selbst die Staatssicherheit hatte Markgrafenheide im Blick. Ein Lagerrat sorgte nicht nur für Ordnung, sondern auch dafür, dass nichts auf dem Platz verborgen blieb. Platzchef Peter Camps erinnert sich an nächtliche Razzien:
Diese Zeltplatzkontrollen wurden meistens morgens um vier durchgeführt, wenn alle schliefen. Wir haben sie aus den Zelten geholt, wir mussten die Personalausweise kontrollieren, wir mussten die Campingscheine kontrollieren so und Schwarzzelter ruckzuck wurden die vom Platz geschmissen, da gab es überhaupt keine Diskussion.”

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Die Rostocker Heide mit ihren ca. 5500 Hektar ist eines der letzten grossen Waldgebiete an der Ostseeküste und steht unter Naturschutz. Moore, kleine Seen, Wiesen und Wälder bilden eines der letzten intakten Küstenüberflutungszonen. Der Einfluss des Brackwassers ist die Grundlage für einen besonderen Lebensraum für Pflanzen und Tiere. Über Waldwege radeln wir vorbei an immer wechselnden Baumarten, um einen Zugang zur Ostsee für eine Rast zu finden. Der Weg wird abenteuerlicher und schliesslich endet vor der Deichzone zum Strandübergang. Ein schneller Blick über die Deichkrone. Der Sand ist heiss und lässt die Füsse einsinken. Wir entscheiden uns doch lieber für ein schattiges Plätzchen unter Bäumen bevor wir den Rückweg antreten.