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Kaum schwenkt der Bug aus dem Hafenbecken erfasst uns schon eine sehr steife Brise.

Nun heisst es aufpassen und genau navigieren. Es bläst in Böjen mit 6 Bft. und die Wassertiefe beträgt stellenweise nur 2,4 Meter. Der Nordwest Wind ist eisig und schrient auf den Wangenfleckchen, die noch nicht unter der dicken Fleecehaube verschwunden sind.

Gefütterte Wollmütze, Kapuze, Fleecehaube, drei Schichten reichen kaum aus, um den Kopf warm zu halten. Der Weg zieht sich, das Steuern strengt an. Dann endlich fest in Kloster. Das Örtchen schmiegt sich in eine Bucht am Fusse des Dornbuschs. Die langgestreckte schmale von Nord nach Süd abfallende Form der Insel Hiddensee im West Rügens ist das Werk der Meeresströmungen, die seit der letzten Eiszeit die drei Inselkerne durch Schwemmmaterial miteinander verbanden. Einen ersten Überblick zu Fuss verschaffen wir uns mit dem Rundgang durch Kloster zur Inselkirche, obligatorischer Besuch des Grabes von Gerhart Hauptmann, vorbei am Sommerhaus der Hauptmanns zum Strand und später Aufstieg auf den Dornbusch zum Leuchtturm.

Hotel in Kloster

Hotel in Kloster

Es gibt einen Dorfteich, Strassen aus Sand, Andenkenläden, Restaurants, Cafes, Fahrradverleih. Vereinzelt sieht man mal einen Menschen. Es wird gewerkelt und vorbereitet. Der grosse Ansturm der Tagestouristen hat sich noch nicht eingestellt.

Hiddensee - Blick nach Süden

Hiddensee – Blick nach Süden

Leuchtturm auf dem Dornbusch

Leuchtturm auf dem Dornbusch

So können wir die Insel zum Glück ursprünglicher erleben.

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Ruhepause

Ruhepause

Kremser Wagen

Kremser Wagen

Die schweren Zugpferde für die Kremser Planwagen, die später Touristenhorden über die Insel schaukeln,  geniessen noch das satte grüne Gras auf den Wiesen, die Frühlingssonne auf dem Rücken und die Ruhe. Der Strand ist menschenleer. Die Inselkirche mit dem Rosenhimmel und hölzernen Taufengel ist noch ein Ort der Stille ohne Blitzlichtgewitter.

Inselkirche mit hölzernem Taufengel

Inselkirche mit hölzernem Taufengel

Der Frühling ist eingekehrt

Der Frühling ist eingekehrt

Blühende Weissdornbüsche verströmen einen lieblichen Geruch. Zur Zeit der DDR heruntergewirtschaftete Häuser werden renoviert, bekomme neue Reetdächer und frische Anstriche geben den Fassaden ein freundliches Gesicht. Hier ist zwar auch die Moderne eingezogen mit allem Komfort für den Reisenden, aber Elektroautos, Pferdekraft, Handkarren und der Drahtesel sind Zeichen des sanften Tourismus. Die Natur steht im Vordergrund. So kann man auch heute noch Hiddensees Flair erleben wie es sich wohl zu Zeiten der Künstlerkolonie, die sich hier niedergelassen hat, darstellte.

Gerhard Hauptmann Haus

Gerhard Hauptmann Haus

Gerhart Hauptmann

ist die berühmteste Figur, deren Namen mit Hiddensee eng verknüpft ist. Folgendes Zitat von ihm drückt seine Verbundenheit mit diesem Flecken Erde am Besten aus.“ Um mich ist alles noch immer in Glanz getaucht. Ich habe acht Tage in Schönheit verlebt, wie sie eben nur diese  grüne und reiche Insel geben kann.“

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„Dat söte Länneken“ zog zu Beginn des 19. Jhdts. Intellektuelle an: Von Bert Brecht, Gottfried Benn, Franz Kafka, Max und Käthe Kruse, Asta Nielsen, Henny Porten, Ernst Toller, Erich Mühsam bis zu Siegmund Freud und Albert Einstein.

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Damals wie heute ist es die Stille, die karge dem Wind ausgesetzte Landschaft und das besondere Licht. Nur per Fährschiff erreichbar sind die Kapazitäten begrenzt und die Übernachtungszahlen überschaubar.

 

Im Hafen sind wir zunächst der einzige Segler und werden vom Hafenmeister mit einem „ herzlich Willkommen“ begrüsst. Am nächsten Tag erkunden wir die ca 15 km lange Insel per Fahrrad. Feuchtwiesen, Deiche, Heideflächen und Birken- und Kiefernwälder wechseln sich ab. Verstreut liegen einzelne reetgedeckte Ferienhäuser.

Transportkarren auf Hiddensee

Transportkarren auf Hiddensee

Ab und zu wartet ein Abreisender mit samt kleinem Gepäckwägelchen auf eine Transportmöglichkeit oder zieht den Gepäckkarren selbst mit dem Fahrrad. Handwerker, Briefträger, Fischer alle nutzen die kleinen Karren für den Transport unterschiedlichster Güter. Die ersten Pferde-Planwagen machen sich auf den Weg zum Fährhafen Vitte, um Tagesgäste abzuholen. Ich erkundige mich bei einem Kutscher, warum die Gefährte Kremser heissen. Er antwortet: „Kremser ist der Name des Berliners Herrn Kremser, der die Planwagen zu ihrer heutigen Form umgebaut hat und die Aufbauten mit Scheiben verändert hat.“ Grüble ich noch über den Wahrheitsgehalt dieser simplen Antwort, so kommt schon das nächste Gespann angetrabbt und der Kutscher auf dem Bock ruft: „Achtung, alle aus dem Weg.“ .Die Sonne scheint, Graugänseschwärme ziehen laut schnattert über unsere Köpfe hinweg. Einige Pferde liegen im Gras und verjagen Insekten mit dem Schweif. Wir raddeln zum Hafen Vitte und nach Neuendorf, einer Streusiedlung.

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Dann geht es weiter zum Naturschutzgebiet an der Südspitze mit dem Leuchtturm Gellen. Im Windschutz der Kiefern wird es warm. Mistkäfer und Zitronenfalter fliegen durch die Luft. Und immer wieder ist es diese eigentümliche Stille, also absolute Stille, die einen umfängt und buchstäblich staunen lässt wie still es eben sein kann. Das ist Erholung pur, Entschleunigung. Zu dem entfernten Meeresrauschen gesellt sich ein Geräusch, dass immer wiederkehrt. Es ist Klack, Klack, Klack. Es ist das lauteste Geräusch in der vollkommenen Stille. Es sind die Kiefernzapfen, die aufplatzen und ab und zu zum Boden fallen.

Leuchtturm Gellen

Leuchtturm Gellen

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Ob diese Bäume auch schon da waren, als die Wikinger mit ihrem Goldschatz auf der Insel landeten? Der Name Hiddensee leitet sich ab von Hedinsey, einem Namen, der in der Edda auftaucht und soviel wie Insel des Hedin (nordischer Gott) bedeutet.  Der Dünensand am Leuchtturm hat sich durch eine Schneise zur Binnenseite vorgearbeitet.

Kreuzotter

Kreuzotter

Im warmen Sand schlängelt sich eine Kreuzotter. Deren engere Bekanntschaft wollen wir nicht schliessen und drehen um zum Rückweg. Im Vittes Renneck gibt es eine Stärkung. Eine grosse Portion Dorsch und für mich den ersten Hornfisch in meinem Leben. Anscheinend sieht man mir genau das an, denn der Kellner warnt mich bei der Bestellung: „ Haben Sie Hornfisch schon einmal gegessen? Er hat grüne Gräten.“

Ein Abbauprodukt des roten Blutfarbstoffes Hämoglobin, das grüne Biliverdin lagert sich in der Knochenhaut des Hornfisches ab

Ein Abbauprodukt des roten Blutfarbstoffes Hämoglobin, das grüne Biliverdin,  lagert sich in der Knochenhaut des Hornfisches ab