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Trotz der Hitze schwingen wir uns auf die Räder und radeln zum nördlichen Leuchtturm nach Eierland.

Das Land ist verbrannt. Das Gras ist gelb, doch die Natur ist hier trotzdem vielfältig. Die Luft ist erfüllt von Insekten. Es brummt und surrt, trotz der Dürre halten sich vielfältige Blumen und Heidekraut am Wegrand. Schattige Wälder hier Bos genannt sind uns willkommene Zonen auf der Strecke.

Texel besitzt an die 40 Naturschutzgebiete. Die Philosophie ist hier nicht den Menschen rigoros auszugrenzen und die Gebiete zu sperren, sondern eine Balance zwischen Erhalt und Schutz der Natur, Landwirtschaft, Wohnen, Arbeiten und Tourismus zu finden. Dieses Konzept scheint hier gelungen zu sein.

Auch in den Dörfern ist Texel grün. Marcel Brouwer ist seit sieben Jahren für die Grünflächen in den urbanen Gebieten verantwortlich. Man setzt hier auf Biodiversität. Monokulturen sind viel zu anfällig für Schädlinge, weiss er. Blattform, Bütezeiten, Unterhaltsfreundlichkeit, Beständigkeit gegen das Salz in der Luft müssen berücksichtigt werden. Die Sortenvielfalt und das Gleichgewicht sind wesentliche Faktoren für die Attraktivität für Insekten und Vögel. Auf einer amerikanischen Eiche leben im Sommer an die 400 verschiedene Organismen.

Texel ist die Insel der Schafe. Weite Weideflächen sind unterteilt durch die typischen Grassoden (insgesamt an die 350 km lang), kleine Wälle, die durch aufgeschichtete, aus dem Boden gestochene Erdbänder, verfüllt mit Sand, entstanden sind. Diese Form der Weidenunterteilung begann 1652. Aufgrund des Holzmangels waren Zäune keine Option für die Bauern und Gräben ebenfalls nicht, durch den hohen Grundwasserspiegel. Die im Texel Dialekt tuinwallen genannten Begrenzungen finden ihren Wortursprung auch im alt niederländischen als tuunwallen. Hier liegt vielleicht der Ursprung des englischen Wortes für „town“ abgeleitet von „ummauerte Stadt“. Ein weiteres Wahrzeichen Texels sind die asymmetrischen Scheunen, die überall in der Landschaft verteilt sind. Sie bieten den Schafen Wetterschutz. Jedoch werden die Schafe nicht hineingelassen, da die Texel Rasse das ganze Jahr draussen besser zurecht kommt.

Stattdessen werden sie als Materiallager von den Bauern genutzt. Meschen und Schafen halten sich mit je ca. 14000 anzahlmässig die Waage. Neben den Schafen leben Ziegen, Hochlandrinder als Nutztiere auf der Insel. Die Natur wartet mit ansässigen und einer Vielzahl von Zugvögeln auf. Eine Besonderheit ist der hier vorkommende Hermelin, der zur Familie der Marder gehört. Leider bekommt man das flinke Tier äusserst selten Gesicht. 

Eine einizgartige Landschaft bildet der Slufter im Nordosten der Insel. Das Gebiet des Slufters wird bei Sturmfluten überflutet. Die hier lebenden Pflanzen wie Seekohl, Seeaster, Harlekinorchidee haben sich angepasst. Zuviel Salz können sie wieder ausscheiden. Sogar Orchideen gibt es auf Texel. Und natürlich nicht zu vergessen den Superfood, der in den Dörfern zu köstlichen Marmeladen, Sirups und Kuchen verarbeitet wird. Sanddorn, Hagebutten von Heckenrose, wilder Rose und Dünenrose und Schlehdorn. Die Beeren der amerikanischen Vogelbeere sind essbar solange sie schwarz sind. Auf niederländisch wird gesagt: „ De Vogels zijn es dol op, evenals sommige Texelaars.“ Über den Hauptort den Burg fahren wir nach de Koog und kaufen Brot.

Dann geht es über gewundene Pfade durch die hügelige Dünenlandschaft zum Leuchtturm. Immer wieder öffnen sich neue Perspektiven auf eine einzigartige Polderlandschaft, die dem Meer abgerungen wurde.

 

Entstehung der Insel Texel im Zeitablauf

Wir sind in Eierland. Man vermutet die Namensgebung nach den vielen Eiern der brütenden Zugvogelkolonien. Erst 1630 wurde die einstige Insel mit dem Rest Texels verbunden. Het Noorden war mit 791 Hektar das letzte grosse Gebiet in 1846, dass eingepoldert wurde. Texel ist eine Insel im Wandel. Bis zum 17 Jhdt. gab es im nördlichen Teil Texels noch keine Polder. Die Landgewinnung zur agrarischen Nutzung schreitet in den Jahrhunderten fort wie sich aus der Skizze gut entnehmen lässt. Bis heute hält sich das „Arbeiten“ der Niederländer mit Land und Wasser. Deiche werden gebaut und verändert. Ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem sorgt für das Gleichgewicht der Natur und die Wassernutzung durch den Menschen. Es gibt Kanäle, Gräben, Gemaale, Oevers. Pumpwerke, Mühlen. Die Technik Wasser zu lenken und Wasserspiegel unter Kontrolle zu halten wird hier zur Perfektion gebracht.

Es ist beeindruckend „live“ die Auswirkungen zu erleben. Entscheidend für Texel ist das typische Abregnen der Wolken über dem der Nordsee zugewandten Dünengebiet, vornehmlich dem Slufter. Dann versickert das Wasser im Boden und rinnt zur Waddenseite der Insel durch ein entsprechendes Gefälle wo es kontrolliert abgeleitet wird bei Überschuss oder zurückgehalten wird bei zu geringem Wasserstand durch Trockenheit für die Bewässerung der Nutz- und Naturflächen. Selbst die Bepflanzung der Oever wird kontrolliert und durch Pflanzenansiedlung im Ufergürtel, der Trockenzone, der Unterwasserzone mit den jeweils passenden Pflanzen eine Wirkung auf Vögel, Fische und die Biodiversität im Ganzen erzielt. Es geht sogar soweit, dass die chemische Wasserqualität überwacht und durch gezielte Veränderungen in der Bepflanzung beeinflusst wird. 

Immer wieder Vogelbeobachter mit Stativ und Teleobjektiven am Wegesrand. Nachtigal, Blauborst, Zaunkönig, Löffelreiher, Strandläufer, Eiderente, Grutto, Kluut, die Aufzählung liesse sich fortsetzen. Es ist ein Eldorado für den Hobby Ornithologen. Zahlreiche Führungen und Veranstaltungen über das Jahr werden dem interessierten Touristen geboten.

Texel zieht auch menschliche Paradiesvögel an. Wie Piet und Ina, die im Süden der Insel in einer mongolischen Jurte leben. „ Nachts höre ich die See, die Vögel“, sagt Ina. „ Jede Windrichtung hat einen anderen Ton. Der Ostwind ist knarrzig, Westwind flüstert durch die Zeltnähte. Wenn ein Sturm aufkommt, hört es sich an wie Kinderstimmen und Getrampel. Der Wind kann sogar heulen.“ Piet. „ Es ist ein Leben mit den Elementen Wasser, Luft, Feuer und Erde. Kochen ist ein ganz eigenes Erlebnis in der Jurte. Auf einen mit Holz befeuerten Ofen .“

Texels Leuchtturm auf Eierland

Das Rot des Leuchtturms strahlt in der Sonne mit dem tiefen blau der See um die Wette. Der weite weisse Strand zieht sich um die Nordostspitze der Insel. In dieser weiter verlieren sich die Menschen. Kleine bunte Punkte in der Ferne ziehen in verschiedene Richtungen. Trotz Hochsaison ist hier Ruhe zu finden. Und Wind gibt es immer. Entweder streicht er als leichte Brise über den Sand und die Dünen oder mit Wucht peitscht er alles nieder bei Orkan. Dazwischen spielt die Klaviatur der Natur alle Varianten und gibt Strand Dünen und Wasseroberfläche sowie den Wolken ein immer neues wechselndes Bild. Alles ist in Bewegung in einem Rhythmus den der Mensch noch nicht zu stark – hoffentlich – beeinflusst. Ich nenne es den Strom des Lebens.

Bei einem Picknick am Strand geniessen wir die reine Luft und atmen tief ein. Diese Augenblicke sind es, für die wir unterwegs sind.

Fährhafen Texel

Heute geht es zum Fährhafen über die Westseite der Insel, den malerischen Ort den Hoorn zum Waldgebiet, dass direkt hinter den Dünen liegt, denn die Hitze ist drückend und auf den weiten Ebenen steigt sie vom Boden hoch. Der Fahrtwind auf dem Rad kühlt nur mässig. Endlich haben wir das grüne Blätterdach des Waldes erreicht. Vogelgezwitscher und Rascheln zwischen den Zweigen unweit der Dünenkette und des Meeres zeigt die Natur hier ein ganz anderes Gesicht. Ferienparks sind behutsam in die Landschaft eingebetet. Hauptfortbewegungsmittel ist hier das Fahrrad. Aus allen Richtungen kommen die Urlauber. Mit Kind und Hund oder Gepäck auf, hinter oder vor dem Rad. Man sieht die unterschiedlichsten Konstruktionen und Vehikel Tandems, Dreiräder, Touren-, Rennräder und Mountainbikes. Wir erledigen unsere Einkäufe in den Burg und nach einer gemütlichen Kaffeepause in de Cocksdorp, kommen wir erschöpft, aber reich an Eindrücken wieder am Hafen in Oudeschild an.