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Wie aufgereiht schiebt sich am nächsten Morgen ein Schiff hinter dem anderen aus dem Hafen. Die einen biegen ab nach Süden, die anderen nach Norden. Vor der Tankstelle kreisen sechs Boote. Die Unruhe im Hafen steckt an. Stromkabel werden eingerollt, Leinen gelöst. Hier bringt noch einer schnell den Müll weg, woanders macht man sich an das Anschlagen der Segel. Jeder hat wohl den Wetterbericht gesehen und will am Nachmittag bevor es ungemütlich wird

im nächsten Hafen sein. Es ist heiss und schwül, also Gewitterneigung. Unterwegs liefern wir uns mit der deutschen Medusa, einem Holländer und einer dänischen Nordship eine kleine Regatta. Die anderen können höher an den Wind. Doch als die Windstärke zulegt, lassen wir sie stehen und ziehen vorbei. Trotz Holeschlag legen wir als Erster in Kristianopel an. Mittlerweile weht es stramm und da kommt die zügige Einweisung durch den bereits auf der äussersten Mole winkenden Hafenmeister grade recht. Der emsige Mann eilt im Laufschritt um das Hafenbecken, um unsere Leinen anzunehmen. Er packt die Schiffe dicht an dicht. Es sollen so viele wie möglich in das Becken passen. Sein geschultes Auge parkt in schneller Abfolge die eintreffenden Boote nach passender Länge ein. Dabei flitzt er ständig zwischen Vormole und den Plätzen hin und her. Wenn der Laie denkt, der Hafen ist doch voll, dann hat er sich getäuscht. Während die einen schon den Grill aufbauen und anfangen zu brutzeln, laufen andere erst ein und klaren dann das Boot auf. Majestätisch liegt die Hallberg Rassy 64 „Hoka Hey“ an der Aussenmole. Seit Mariehamn treffen wir sie immer wieder in verschiedenen Häfen. Zwei Schwedinnen von einem hölzernen Traditionssegler grillen auf einem Cobblestonegrill ein Entrecote, dass für mich eher wie ein Gehirn aussieht. Von dem Grill würde ich nur die Tomaten und Zitronen essen.

Beim Abendspaziergang bestaunen wir die grosse Rassy. Da spricht uns ein älterer Mann an, dessen Blick auch auf das Schiff gerichtet ist. Es ist Rolf von der Merin aus Dorsten. Nach wenigen Sätzen wissen wir alles über das Revier Bottenviken, den Ort Kristianopel was sich hier im Mittelalter abgespielt hat, seine Reise und den Bootsbau im Allgemeinen. Rolf redet gerne. Seine Frau war schon fünfmal hinter seinem Rücken und hat an seinem roten Pullover gezupft. Er lässt sich nicht beirren. Zu schön ist das Schwelgen im Seemannsgarn wo er nun endlich so dankbare Zuhörer in dem anscheinend unbeschlagenen Seglerpärchen gefunden hat. Eine halbe Stunde ist bereits um, als sich seine Frau resolut durchsetzt. „Rolf wir wollten doch vorne gucken gehen.“ Am Kai spielt eine Band live und verschiedene Sänger treten auf. Wir haben noch nicht zu Abend gegessen. Nach Rolfs Talk ist es spät geworden. Es muffiger Geruch weht von Zeit zu Zeit über den Hafen. Es sind freiliegende schwarze Algen, die den Gestank absondern. Ansonsten ist die ehemalige dänische Festung Kristianopel mit ihrer starken breiten Ringmauer aus dem 16. Jh. eine Puppenstube.

Wie in einem Stilleben der naiven Malerei liegen die bunten Häuschen eingebetet in hübschen Blumengärten. Tante Emma Laden, Landhandel, Kirche mit Friedhof und der angrenzende Campingplatz liegen auf einer Halbinsel. Im Vorland grasen Kühe auf saftigen grünen Weiden. Reifes Korn wiegt im Wind. Streuwiesen ziehen mit ihrem vielfältigen Blumenspektrum die Insekten an. Nach der Morgengymnastik und Axels Jogginglauf geht es am Nachmittag bei heissem Sommerwetter zum Naturschutzgebiet Högsand. Vorbei an Farmen erreichen wir bei Eriksholm den Wald. Es ist ein echtes Biotop. Als uns auf dem Schotterweg im Wald ein Auto mit Anhänger entgegenkommt, fragen wir nach dem Weg. Der Schwede steigt sofort aus und erklärt und hilfsbereit den Weg. An dieser Stelle möchten wir  erwähnen, dass wir bisher in Finnland und Schweden nur sehr positive Erfahrungen gemacht haben mit freundlichen, ausgesprochen hilfsbereiten Menschen. Bald wird der Wald dunkler und bizarrer. Blaubeerbüsche und Moose wuchern am Boden. Doch plötzlich tut sich eine Lichtung auf. Es gibt nur noch Kiefern, die auf Sandboden wachsen. Überall ist tiefer Sand.

Kleine kreisrunde Trichter sind im Sand geformt. Dies sind die Fallen des Ameisenlöwen. So nennt man hier die Jungfern der Ameise. Das Laufen im tiefen Sand ist mühsam und so entscheiden wir uns bald zur Umkehr. Die  vielfältige Natur überrascht immer wieder mit Neuem. So wusste ich bisher nichts über die Existenz dieser Ameisenlöwen. Ein weiterer Exot des Tages ist das Zebrapferd. Gibt es irgendwo auf der Welt vermutlich eine Kreuzung aus Zebra und Pferd so ist das Zebrapferd von Kristianopel ein zum Zebra verkleidetes Pferd.

Die modische Schutzausrüstung soll Insekten fernhalten. Mittlerweile ist es windig geworden. Der Hafen hat sich wieder gefüllt. Schwimmender Bettenwechsel sozusagen. Heute ist ein jungen Hafenmeister zuständig. Er weist  eine stählerne grosse Reinke an einen Platz wo die Heckboje für dieses Schiff fast mittschiffs hängt. Der Einhandsegler legt ein gekonntes Anlegemanöver hin bei schwierigen Bedingungen. Doch die Tonne hält das Schiff nicht zurück und bevor er wieder an der Gangschaltung ist, brettert das schwere Schiff mit Bugspriet in den Steg und der Bug läuft mit Schwung am Steg hoch wie auf einer Skisprungschanze. Bis auf vermutlich abgeplatzten Lack und weggeknacksten Brettern ist nichts passiert.