Reading Time: 4 minutes

Regen ist angekündigt. Bevor wir die Stadt verlassen,  ist es ein geeigneter Tag sich meinem Dauerbrenner …

Ohrenschmerzen zu widmen. Gestern haben wir auf Empfehlung des Touristenbüros ein Medizinisches Center aufgesucht. Allerdings stellte es sich eher als Röntgeninstitut heraus. Trotzdem habe ich einen Termin für morgen vereinbart. Aber wir wollen auf eigene Faust die Sache in die Hand nehmen und haben noch etliche Fahrten auf unserem Mehrfachticket. Dann sehen wir auch Bezirke ausserhalb der Altstadt, also zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, ist der Gedanke. Auf geht´s mit der Strassenbahn zum Uniklinikum. Nach drei Stationen müssen wir in einen überfüllten Bus umsteigen. Dieser kutschiert und eine gute Stunde über Hauptstrassen mit immensem Verkehr vorbei an grossen, modernen Einkaufszentren, Ghettos schlimmster Sorte, restaurierten Jugenstilfassaden und Gewerbegebieten, später durch einen endlos wirkenden Wald. Selbst hier liegt eine Haltestelle. Plötzlich tauchen Wohnblocks auf. Zwei Türme sind nur Ruinen, dann das Krankenhaus, dass einen halbwegs passablen Eindruck macht. Ein Mann in Werkkleidung mit einem alten rostigen Fahrrad, dass mit zwei Gepäckträgern versehen ist, die über und über mit Metallspiralen versehen sind, versperrt mit seinem querstehenden Rad den Ausgang im Bus. Irgendwie quetschen sich die Menschen und wir natürlich auch trotzdem vorbei. Noch sinniere ich was man mit so einem merkwürdigen Fahrrad macht, als mein Fuss in einer tiefen Pfütze versinkt. Mittlerweile regnet es wie aus Eimern. Tapfere Marktfrauen frieren hinter ein paar Äpfeln und Erdbeeren in dieser Tristesse. Wir suchen eine Notaufnahme, werden hin und her geschickt. Dann eine Nummer ziehen. In einer Ecke sitzt eine Dame an einem Infoschalter. Aus pidgin english und Gebärdensprache verstehe ich, dass es in diesem Komplex riesiger Ausmasse alles gibt, nur keinen Ohrenarzt. Eigentlich erleichtert verlassen wir das Gelände, denn besonders hygienisch sieht es hier nicht aus. Mit der handschriftlichen Adresse einer Klinik, die geeignet sein soll, finden wir eine Direktverbindung per Bus. Doch es ist eine lange Fahrt. Die sogenannte Slimnica (Klinik ) liegt auf der anderen Flussseite. Der Bus fährt erst eine Stunde zurück zur Innenstadt und dann über die Brücke in eine Gegend, die noch rückständiger wirkt, als die aus der wir kamen.  Die Architektur wechselt von den 70er Jahren zum Zeitalter des 19. Jhdts. Der Krankenhaus Komplex verteilt sich auf 35 einzelne Gebäude beschildert mit Korpuss. Es regnet und es ist kalt. Am Haupteingang in einer Kafenica holen wir uns zwei Rhabarberschnecken, um der Unterzuckerung entgegenzuwirken. Gut gestärkt geht es zum Korpuss 1 wo wir die passende Abteilung vermuten. Hier spricht die Dame im Holzverschlag kein Englisch, doch die Zeichensprache bringt mich weiter und zum Korpuss 32. Hier wieder Nummern ziehen. Erstmal für die Information, dann erneut für die Warteschlange auf einen Arzt. Nach geschlagenen zweieinhalb Stunden wird meine Nummer angezeigt. Sofort springe ich auf, aber lande nicht im Arztzimmer sondern am Schreibtisch neben der Information. Ein junges Mädchen im grünen Kittel mit der deutschen Aufschrift KRANKENHAUS  hört sich kurz mein Anliegen an und antwortet nur mit zwei Wörtern: 32,- Euro. Sie scheint nicht zu begreifen, dass ich einen Arzt sprechen möchte. Jetzt schaltet sich eine zweite ein. Sie versteht wohl einige Brocken englisch. Ach so, zum Arzt, ja dann noch mindestens zwei Stunden warten. Entnervt lehne ich dankend ab. Es gibt einfach zu viele Kommunikationsschwierigkeiten.  Zurück im Wartebereich sage ich zu Axel: „Komm wir gehen, es hat überhaupt keinen Zweck.“

Draussen auf der Zufahrt entdecken wir eine Ratte auf einem Gullideckel. Eine Katze scheint mir ihr zu spielen. Beklommen nehme ich diese Szene wahr und hoffe hier nie ernstlich krank zu werden wo die Ratten aus der Kanalisation des Krankenhauses steigen. Abgründe tun sich auf. Schnell zurück zur Bordapotheke. Wer hier keinen Zugang zu einer Privatklinik hat, der ist verraten und verkauft oder dem Gnade Gott. In den guten zwei Stunden haben wir viele Notfälle hereinkommen sehen. Sehr,sehr arme Menschen. Diese Eindrücke müssen wir erst einmal verdauen. Erleichtert steigen wir in den Bus, mit dem wir diese Gegend hinter uns lassen. Eine hübsche junge Frau mit sehr hellem Teint, schwarzem Haar und hellblauen Augen steigt ein. Sie schiebt einen Kinderwagen und ich gebe ihr meinen Platz. An einer Kreuzungsecke sehe ich plötzlich eine fielmann Filiale. Ich rufe zu Axel herüber: „ Hätte ich das gewusst, dass es hier fielmann gibt. Ich muss unbedingt meine Brille nachstellen lassen.“ Die junge Frau schaltet sich ein in bestem Deutsch:“ Im Zentrum Nähe Radisson Hotel gibt es noch eine Fielmann Filiale.“ Wir kommen mit ihr ins Gespräch und erfahren, dass sie 12 Jahre in München gelebt hat. Nun ist sie wieder zurück und habe einen  Letten geheiratet und den nun sieben Monate alten kleinen Jungen bekommen. In Deutschland hat  es mit Mann und Kind nicht geklappt. Ich frage sie, wo man zum Arzt gehen könnte mit Ohrenschmerzen. Sofort verweist sie auf die Poliklinik No. 1. Sie müsste zufällig dort aussteigen. Wenn wir wollten könnten wir gleich hinfahren. Sie würde uns zeigen wo wir hin müssten. Das Gebäude ist restauriert. Neue Beschilderung, alles ist sauber inklusive der Kleidung der Schwestern. Die junge Mutter arrangiert für mich einen Arzttermin für den nächsten Tag. Die Registratur liegt im 1. Stock und ist nur über eine  Treppe  zu erreichen. Ausgesprochen vertrauensselig lässt sie uns mit ihrem Kind und ihrer Handtasche im Erdgeschoss alleine. Dann trägt Axel den Kinderwagen mit ihr die Treppen hoch. Nachdem alles geklärt ist, verabschieden wir uns. In überschwenglicher Stimmung über den guten Ausgang dieser mehrstündigen Irrfahrt und den langen nutzlosen Wartezeiten, kehren wir vergnügt an Bord zurück. Doch es sollte alles anders kommen.