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„Ein herrlicher Morgen, haben Sie gut geschlafen?“, frage ich den bärtigen Segler, der mit strubbeligem Haar, zerknittertem  T-Shirt und dreiviertel Hose barfuss bei uns vorbei schleicht auf dem Weg zum Plumpsklo.

Seine Antwort im besten Ruhrpott-Dialekt: „ Dat war eine schreckliche Nacht, hab kein Auge zugemacht. Da hat wat geklappert.“ Er ist ein Crewmitglied eines der fünf Schiffe, die mit uns im kleinen Hafenbecken des schwedischen Outpost Utklippan liegen. Zwei Skerries, Steingruppen bilden Norraskär (Nordinsel) und Södraskär (Südinsel). Die ehemals von Fischern genutzte und von Leuchtturmwärtern von 1840 bis 1972 bewohnte Inselgruppe dient heute nur noch als Vogelfangstation und für wissenschaftliche Umweltbeobachtungen.

Segler dürfen den  seit 1940 existierenden Hafen im Naturschutzgebiet zum Aufenthalt nutzen. Willkommen im Naturschutzgebiet: „Keine Pflanzen abreissen, keine Tiere stören und keinen Müll hinterlassen“, ist klar, dann noch die Anweisung Vögel in Fangnetzen so zu belassen wie man sie vorfindet und nicht zu befreien. Aha, wie gemein, denke ich und hoffe, mit der Herausforderung nicht konfrontiert zu werden. Im Auftrag des schwedischen Naturkundemuseums in Stockholm betreibt der ornithologische Verein ehrenamtlich seit 1964 die Zählung und Beringung von Zugvögeln. Zugvögel werden mit Japannetzen gefangen und Watvögel in Käfigen. Bis 2014 wurden 435.012 Vögel von 200 Arten beringt und davon 1313 Exemplare in Europa, Asien und Afrika wiedergefunden.   

Ein hölzerner Pavillon mit Infomaterial dient als Aufenthaltsraum und ist stark beheizt trotz des warmen Sommerwetters. Hier erfahren wir, dass schwedische und spanische Studenten auf Utklippan im Herbst 2015 ein Projekt gestartet haben, zukunftsweisende Energiequellen zu untersuchen. Wind, Solar oder Hydropower, wer wird der Gewinner sein oder wie werden diese Energiequellen im Zusammenspiel genutzt? Wir liegen längsseits vertäut hinter einer Hallberg Rassy aus Espoo, Finnland. Bei unserer Ankunft hat das freundliche Paar unsere Leinen angenommen und beim Anlegen geholfen.

Utklippan, die Felsengruppe ca. fünf Seemeilen vor der schwedischen Südostküste ist ein Reservat für Kegelrobben und Kleinod für Naturliebhaber. Doch entgegen einem früheren Besuch, ist keine einzige Robbe zu sehen. Wir müssen uns mit den laut krakelenden Möwen begnügen, die aufgebracht attakieren, kommt man den Felsen zu nah wo sie ihre Gelege haben.

Etliche Jungvögel staksen unsicher, stets die Nähe zum Elternteil suchend, umher. Ihr Federkleid ist braun-gefleckt im Gegensatz zu den grau-weissen Altvögeln. Ich staune immer wieder über das reine weiss ihrer Federn. Sie sehen blitzeblank sauber aus. Wir laufen über das kleine Island. Utklippan ist in zwei Inseln geteilt. Auf einer befindet sich der Leuchtturm, doch wir müssten unser Schlauchboot aufblasen, um dort hin zu gelangen. Für den kurzen Aufenthalt lohnt das nicht. Der Skipper beschäftigt sich mit der Mobil App zur Bezahlung des Hafengeldes mittels Stationscode. 

Im Hafenbecken drehen Eiderenten ihre Runden und lassen ihr merkwürdiges, ich nenne es, schnarren, ertönen. Der Skipper liest im Cockpit und ich mache nochmal eine Fotorunde zum Ärger der Möwen. Dabei wähle ich eine Route im  grossen Bogen um die von ihnen offensichtlich okkupierten Felsen.

Manchmal liegt das Besondere im kleinen Detail und so wendet sich meine Aufmerksamkeit den vielfarbigen Flechten zu, die auf den Felsen interessante Muster bilden. Die unauffällige genügsame Pflanze ist eigentlich ein kleines Ökosystem das aus verschiedenen Organismen besteht, meist aus einer Grünalge und einem Pilz. Die Alge wandelt Sonnenenergie in Kohlehydrate um, die der Pilz für sein Wachstum benötigt. Im Gegenzug schützt der Pilz die Alge vor Trockenheit, extremer Kälte und Wind. Diese Zusammenarbeit macht die Flechte zu einem Überlebenskünstler, der an fast jedem Ort der Erde wachsen kann.

Kurz vor dem Sonnenuntergang streift über die beiden Eilande ein gleissendes, aber samtiges Licht. Es ist unser zweiter Besuch auf Utklippan und vor dem Anlaufen eines Zieles, dass man bereits einmal besucht hat, stellt sich unwillkürlich die Frage ein, wie wird es diesmal sein? Was hat sich verändert? Ist die Euphorie der Neuentdeckung noch die gleiche oder stellt sich Enttäuschung ein? Bei schlechten Wetterbedingungen sind die Einfahrten zum Hafen kniffelig bis unpassierbar. Früher schützten sogar Eisentore den Hafen, doch heute sind die Sperren stillgelegt, denn zu umständlich war das Handling.

Algen im klaren Wasser

Wir sind froh, dass das Wetter mitgespielt hat und uns das Besuchen dieser Naturschönheit erneut ermöglicht hat. Utklippan ist ein Höhepunkt unserer diesjährigen Reise und wir wurden nicht enttäuscht, die Faszination ist geblieben.

Bornholms Nordküste

Nicht weniger bewegend ist oftmals das Schwinden einer Küste beim Verlassen des schützenden Hafens. Es ist gleichzeitig Abschied von einem schönen Aufenthalt mit ein bisschen Wehmut im Gepäck, doch auch Aufbruch zu neuen Abenteuern und gespannter Erwartung auf das Kommende. Gestern Morgen als der Küstenstrich des dänischen Bornholms immer dünner wurde und der Ostwind die Segel unserer Ketch füllte, durften wir genau das Erleben.  So wie der Buchdeckel zugeklappt wird, wenn das Buch ausgelesen ist; so haben wir Dänemark hinter uns gelassen und ein neues Buch fängt mit dem Vorwort an und das ist Schweden.  Wie auf Schienen trägt uns an einem herrlichen Sommertag Astarte nach Norden.

Leuchtturm von Utklippan