SjAElland

Reading Time: 8 minutes

Korsör

Heutzutage ist das Segeln einfacher geworden in punkto Wettervorhersagen. Zu 95% wird man vor Überraschungen bewahrt, die einen dann in einem Sturm enden lassen.

Am Fischereihafen von Korsör

Somit sind die Reisen sicherer geworden und planbarer. Die Kehrseite jedoch ist, dass man auch abhängiger wird und der erste Griff noch in der Koje zum Handy mit Wetterprogramm geht. Swipen hin und her, Vorhersagen checken. Je knalliger die Farben je mehr Wind, Starkwind bis zum ausgewachsenen Sturm oder Orkan. Die eine oder andere geplante Fahrt fällt dann buchstäblich ins Wasser und man bleibt im Hafen. Gut so sagen die einen, schade meinen die anderen, denn wo bleibt das Training und das Sammeln von Erfahrungen eben auch als Crew und Schiff in schwerem Wetter schadlos den nächsten, schützenden Hafen zu erreichen. Wie immer liegt die Lösung vermutlich im gesunden Mix und zu allem Komfort der modernen Technik den Blick gegen Himmel zu richten, das Barometer zu beachten , die altbekannten Vorzeichen zu deuten und auf den eigenen Instinkt zu hören. Erfahrene Segler spüren, wenn „etwas im Anzug“ ist.

So hat sich vor dem Aufbruch bei mir eine Routine eingestellt, dass meine innere Uhr mich automatisch weckt bevor der Wecker klingelt und ich von einer Sekunde zur nächsten hellwach bin. Mit der Sonne kommt auch der Wind, weiss ich. Das Ablegen ist oft leichter in den frühen Morgenstunden. Während der Skipper noch eine Mütze Schlaf nimmt, laufen für mich die Vorbereitungen zum Aufbruch schon auf Hochtouren. Fender einschwenken, Leinen klarieren zum Verholen, Persenning vom Besan nehmen, Fall anschlagen, Winschkurbeln bereitlegen. Die Handgriffe laufen routinemässig ab. Zwischendurch Skipper nerven und drängeln nach dem Motto Druck machen und den Aufbruch beschleunigen, während er sich in aller Ruhe seinen Kaffee macht und die Törnskaffee auf Vorrat anlegt. Inzwischen bringe ich den Müll weg und stosse dabei auf die Hinterlassenschaften einiger Trinkgelage in säuberlicher Sammlung auf die Reststoffverwertung wartend. Spodsbjerg ist ein hot spot für Angler.

Hier sind meist Männer unter sich. Vielleicht wollen sich einige im Kollegenkreis als hartgesottene Rauhbeine profilieren? Meine Missbilligung riefen sie gestern hervor, als der eine oder andere seine Zigarettenkippe über Bord warf, bevor das Motorboot den Hafen verliess.

Ich klopfe noch schnell an den Bugkorb der Kirke, um nochmal unseren Aufbruch abzustimmen, denn ich weiss, das Axel und Carmen morgens meist schon sehr früh auf sind und  gut gefrühstückt mit vorbereitetem Boot wie aus dem Ei gepellt in Segelmontur bereit sind, einen neuen Segeltag anzugehen. Heute habe ich mich wohl geirrt, als Axels Kopf verschlafen aus der Persenning lugt. Meine Info: „Wir laufen in 15 Minuten aus“, nimmt er gelassen entgegen mit dem Wissen, dass die Kirke sowieso unterwegs rasant Seemeilen gutmachen wird, da ihr Riss moderner ist und sie auch mehr Segeltraglast hat als die ketchgetakelte Astarte. Meine Eile hat einen Grund; laut Wetterprognose peakt der Wind ab 11.00 Uhr auf, ungünstig für das Anlegemanöver in Korsör.

Bald laufen wir parallel der Küste von Langeland nach Norden. Die Strömung jedoch läuft nach Süd und mühsam sammeln wir Meilen nach Nord. Axel wertet Strömungskarten aus und entscheidet die Fahrwasserseite im Belt zu wechseln. Qerab der Insel Ömo legt der Wind zu und wir machen gute Fahrt – endlich. Die Uhr im Blick, ist aber die Marke, um 11.00 Uhr schon im Zielhafen zu sein, nicht zu halten. Schwere Wolken bauschen sich und werden dunkler, da weiss ich, es ist Zeit zu reffen. Mit einem Mal aber hat die Böe uns bereits erwischt. Astarte legt sich schräg, das Seewasser sprudelt in Lee über das Sideboard. Während ich, geklammert am Besanmast, das Besansegel mühsam berge, kurbelt Axel die Genua ein. Die Drücke sind so stark, dass Mast und Vorstag erzittern. Vor Korsör beruhigt sich der Wind ein wenig und macht das Anlaufen leichter. Unseren Anleger retten unsere Freunde durch beherztes Zugreifen unserer Leinen, denn ich hatte es nicht mehr geschafft, beide Festmacher am Bug anzubringen und dummerweise den Winkel der Box zum Wind falsch eingeschätzt. Plötzlich war meine geplante Luvleine eine Leeleine. Doch nach einigem Ziehen und Zurren liegen wir fest und sicher. Nachdem wir mit der Kirke Crew die Törneindrücke ausgetauscht haben, wird klar Schiff gemacht.

Am nächsten Tag ist in Dänemark Buss- und Bettag, von uns nur bemerkt durch die geschlossenen Supermärkte. Endlich finde ich seit Törnbeginn Zeit, mein morgendliches Sportprogramm im Windschatten einer Glasabtrennung auf der Hafenpromenade abzuspulen. Den zwar für mich sprachlich unverständlichen, doch durch die Handzeichen positiven Zuspruch erhalte ich von freundlichen Dänen, die vorbei kommen.

Der ehemalige Garnisonsstützpunkt Korsör ist auch heute noch Marinebasis und hat seinen eigenen eher herben Charme. Auf den ersten Blick heruntergekommen, gibt es aber bei genauerer Inspektion doch schöne Ecken. Fischereihafenbecken, Festungsanlage mit Turm aus rotem Backstein und einige Gebäude aus dem 19. Jhdt im typischen dänischen Gelb halten dann doch als Fotomotiv her. Gemeinsam mit unseren Freunden laufen wir Richtung Belt Brücke und belohnen uns alle auf dem Rückweg mit einem Eis.

Reersö

Nach zwei Tagen geht es weiter nach Reersö. Erstens, weil die Halbinsel an der östlichen Beltseite landschaftlich schön ist und zweitens dieser kurze Sprung nach Norden noch machbar ist in einem kleinen morgentlichen Zeitfenster bevor wir Gegenwind haben. Es wird Segeln wie aus dem Prospekt. Angenehme Bedingungen und eine Überfahrt die Freude macht. So kommen beide Crews zufrieden und ausgeruht am Gaststeg in Reersö an.

Das Wasser ist klar und blinkt in der Sonne türkisblau. Von Reersö aus sieht man die flache Insel Musholm, die Reersö vorgelagert ist mit ihren weissen Stränden.

Im hölzernen alten Hafenbecken von Reersö dümpelt eine Reihe von kleinen hölzernen Fischkuttern. Die traditionellen Kutter im typischen hellblau gestrichen oder holzfarben mit ihren Markierungsbojen, den roten Flaggen geben dem Hafen einen malerischen Anstrich.

Auch die geduckten Fachwerkhäuser , hübsche Blumen, überall blühende Fliederbäume heben gleich die Stimmung des Besuchers. Zwischen zwei ausgedienten Fischerbooten deren Rümpfe auf Kopf gedreht wurden, geniesse ich meine Gymnastik im Windschatten und atme die klare Seeluft tief ein. Reersö ist ein kleines Schatzkästchen und zu viert machen wir uns später auf den Weg, einem der angelegten Wanderrouten über die Halbinsel zu folgen.

Vorbei am Reersö Bilmuseum (Bil = Auto) wird der Pfad enger und unsere Waden streifen das hochstehende Gras. Carmen mahnt zur Vorsicht: „ Passt auf wegen Zecken“. Nebenher verläuft ein mit Wasser gefüllter Graben mit Algenschleim auf der Oberfläche. Die Männer gehen voraus und bleiben plötzlich stehen. Wir schliessen auf und hören: „ hier geht es nicht weiter, wir müssen umkehren.“ Ein Mann in seinem Garten von der gegenüberliegenden Seite des Grabens entdeckt uns und ruft herüber. Er erlaubt uns das Queren eines Steges und somit die Abkürzung über sein Grundstück zu einer sandigen Strasse. Der Däne baut grade eigenhändig ein Ferienhaus auf seinem Grundstück und hat Zeitdruck, denn in wenigen Tagen wird der Beton geliefert.

Wir setzen unseren Weg fort, vorbei an vielen Ferienhäusern oder vielleicht auch fest bewohnten Häusern, jedes unterschiedlich aber immer aus Holz und oft sehr niedrig. Am Strassenrand liegt ein gelber Kerzenleuchter aus Porzellan mit dem Schild „Gratis“. Ich hebe ihn auf mit der Bemerkung zu Carmen: „ Der wäre doch etwas für Dich, passt bei Euch zu Hause gut rein“. Sie antwortet: „Ach nein doch nicht“. Also plumpst das gute Stück wieder auf den Grasboden zurück.

Am Kliff essen wir alle unsere Äpfel aus dem Rucksack. Die beiden Cs natürlich mit Strunk bis zum Stil. Die Herren aber entsorgen die Kitsche im hohen Bogen ins Grün. Der Rückweg bringt uns nach einem Weg durch die Felder wieder zum Ort zurück und während die beiden Axels ins Gespräch vertieft schon weit voraus sind, bemerken Carmen und ich eine Katze ohne Schwanz. „Mensch, dass ich die Katze nun hier sehe – wie verrückt!“ Carmen schaut mich leicht verwundert an. Ich erkläre ihr, dass, als wir schon einmal Reersö besuchten, auf einem früheren Törn, ich über die Katzen ohne Schwanz gelesen hatte und regelrecht auf der Lauer lag ein Exemplar vor meine Kameralinse zu bekommen. Natürlich waren die Verbeiner damals nirgends zu sehen. Normale Katzen mit Schwanz standen langsam auf, reckten sich und liefen an mir vorbei wie zum Hohn; als wollten sie sagen: „Du kannst lange warten auf unser schwanzlose Cousine“. Doch jetzt sehe ich sie wirklich und der Auslöser rattert. Also kein Fabelwesen und keine Mähr, hier ist die schwanzlose Reersö Katze wie sie leibt und lebt. Wie es dazu kam, berichtete ich in meinem Blog unter dem Eintrag Reersö.

Am Abend treffen wir uns erneut zum gemeinsamen Grillen. Neben Kotlett und Lachs finden auch grosse Portobello Pilze ihren Weg auf den Grillrost. Sie passen gut zu Carmens leckerem Nudelsalat. An dem zum Glück lauen Abend geniessen wir vier das unterhaltsame Zusammensein, bis die Mücken zu dreist werden und wir uns geschwind zu den Schiffen zurück verholen.

Kalundborg

„Axel wir fahren nach Kalundborg“, informiere ich unseren Freund. Er antwortet: „Ja wir auch“.  Bei unserem gestrigen Picknik  an der Kliffkante der Nordseite Reersös Halbinsel hatten wir bereits die hohen Schornsteine und industrielle Skyline in der Ferne ausgemacht und gerätselt, ob dort ein Kraftwerk ist. Google gab die Lösung; es ist eine Müllverbrennungsanlage. Der Ausblick vom Hafen zur Insel Musholm verändert sich im Abendlicht und bald scheint ein runder Vollmond. Die Farben zerfliessen in sanften Farbtönen. Ich klettere noch einmal über unser Schapp mit der Kamera in der Hand, aber auch um mit dem Skipper der Kirke abzustimmen, welchen Hafen wir in Kalundborg anlaufen, denn plötzlich fand ich einen digitalen Revierführer, der von veränderlichen Tiefen im Seglerhafen berichtete und den Hinweis gibt, besser den Vesthaven anzulaufen, der auch dichter am Stadtzentrum liegt. Luftaufnahmen vorab von Häfen oder Einfahrten zu sehen, die man später ansteuert ist immer sehr hilfreich und führt meist zu anderen neuen Erkenntnissen, so auch hier. Ich zeige Axel das Übersichtsfoto und er nickt, alles klar.

Am Morgen also starten wir gemeinsam und irgendwie kommt nochmal von mir der Hinweis: „erstmal laufen wir an den Becken des grossen Industriehafens vorbei“. Axel antwortet: „wieso, da ist doch gar keine Industrie“. Ich werde stutzig. Es stellt sich raus, dass er meinte wir würden auf die andere Beltseite zur Insel Fünen segeln und dort die Nordspitze mit dem Hafen Korhavn anlaufen. Schnell ist die Sache geklärt und beide Schiffe kommen schliesslich in geringen Abstand aufeinander gut in Kalundborg an. Es war ein schöner Törn, der bis vor den Hafen bei gutem Wind unter Segeln erledigt werden konnte.

Kalundborg

Während Kirke zum gemütlichen Teil übergeht und sich im Cockpit bei einer Tasse Kaffee entspannt, heisst es bei Astarte Ärmel aufkrempeln und den Werkzeugkoffer raus. In der Vorpiek ist Wasser, gleich ein Eimer voll. Zum Glück ist es Süsswasser und noch dazu sehr lecker. Ich vermute also kein Regenwasser, das würde immer etwas salzig und brackig schmecken. Bald ist das Unterste zu Oberst gekehrt und Axel hängt kopfüber tief im Vorschiff. Rätselraten: wo kommt das Wasser bloss her. Während es bei uns so unordentlich ist wie vor einem Hausumzug, empfängt uns die Kirke Crew mit einem frisch gedeckten Tisch zum Abstand nehmen von unseren technischen Herausforderungen auf unserer betagten Lady.

In Kalundborg erledigen wir Einkäufe und besichtigen gemeinsam die fünftürmige Kirche, deren massiver Backsteinbau über der Altstadt und dem Hafen von Kalundborg trohnt während auf der anderen Fjordseite die Schornsteine und Schlote der Industrieanlagen in den Himmel recken. Die Halbinsel Gisselore mit dem Yachthafen auf der Innenseite schirmt gegen den Fjordausgang ab und ist mit zwei hohen Radiomasten bestückt. Schön kann man Kalundborg selbst nicht nennen, abgesehen von den gut erhaltenen Strassenzügen rund um die Kirche. Doch die Umgebung ist grün und die langen Küsten des Kalundborgfjords stehen unter Naturschutz.

Kattegatseitig die Halbinsel Rosnaes mit dem rot weissen Leuchtturm am Ende beheimatet sogar mehrere Weinbauern, die auf den sandigen steilen Hängen der geschwungenen Küstenlandschaft prämierte Bioweine produzieren. Das Seeklima trägt mit seiner milden, feuchten Luft  und  die vielen Sonnenstunden zu idealen Bedingungen für die Weinstöcke bei. Auch das nahe Schloss Lerchenborg mit ausgedehnten Rosengärten wäre ein lohnenswertes Ausflugsziel aber sicherlich besser im späteren Sommer, wenn die Rosen blühen.  

Wir sind mit aufräumen und verstauen des Proviants beschäftigt. Kirke fährt vor und später segeln auch wir den Kalundborgfjord wieder Richtung seewärtigem Ausgang entlang. Vom Wasser aus sieht man viel von der grünen Küste. An der Kapspitze kräuseln sich die Wellen. Weisse Schaumkronen plätschern über einer für das Auge unsichtbaren Untiefe. Die Karte gibt Aufschluss über die Unterwasserformation. Kormorane trocknen ihr Gefieder auf dem massiven Seezeichen aus Beton. Ihr strenger Kotgeruch lässt uns die Nasen rümpfen.

Kaum mokiere ich mich über die Biester, da erfasst eine kräftige Böe das Boot und Axels Segelcap fliegt ihm vom Kopf. Sofort schauen wir achteraus, doch auf der dunklen bewegten Oberfläche   ist nichts auszumachen. „Schade“, rufe ich, „ das war Papas Mütze; ein Erinnerungsstück. Crew Käpi der Pinta vom Team Illbruck. Wir schweigen und sind bedrückt. „Kann man nichts machen, nun ist es eben passiert“ versuche ich die Stimmung zu retten. Bis vor die Hafeneinfahrt von Rosnaes können wir noch einige Kreuzschläge machen. Kirke liegt schon am Holzsteg. Wir parken dahinter ein. Das kleine runde Hafenbecken bietet nur noch einigen kleinen Fischkuttern Zuflucht. Für Yachten ist wenig Platz und die Wassertiefe noch machbar aber gering.  Axel von der Kirke bringt es auf den Punkt: „Wir fahren morgen auf jeden Fall“. Recht hat er, denn so ein Minihafen kann bei eventuellen Wasserstandsänderungen zur Mausefalle werden.

Ein moderner Holzbau am Hafen beinhaltet eine Bar, Sanitäranlagen, Sauna und Aussenstege für ein Seebad. Das Wasser ist klar. Sauna und der Sprung in die Ostsee wirken einladend. Aber wir sind nochmal mit unserer Recherche beschäftigt die Ursache für das Süsswasser in der Vorpiek zu ergründen. Beinahe hätte ich es vergessen: Das Andenkenstück, die Segelkappe von Illbruck lag bei Ankunft wohlbehalten auf dem Achterdeck. Trotz Schräglage, Wind und schlagenden Schoten ist sie wie von Geisterhand festgehalten worden. Es geschehen eben doch Wunder.

Previous

Saisonauftakt im Store Baelt

Next

Anholt

2 Comments

  1. Interessant wie immer. Toller Bericht und schöne Fotos! Seid Ihr schon in Kopenhagen?

    Aktuell liegen wir auf Läsö und warten auf das Sturmtief von Westen. Morgen ist Feiertag in Schweden. Dann soll hier in Österby der Hafen voll sein. Es sind schon ganze Stegreihen für schwedische Motorbootclubs reserviert. Uns graut schon davor.

  2. Nice photos! Denmark certainly is a picturesque place. Glad that Axel found his hat again.

    We are in Poel at the moment – great cycle ride around the island yesterday.

    R&B.

Powered by WordPress & Theme by Anders Norén