Heute ist Servicetag. Das bedeutet tanken, einkaufen, Strecke machen. Ein Gewerbegebiet vor Bellinzona hat alles was wir brauchen. Nachdem die Einkäufe verstaut sind, geht es auf die Autopiste dem grossen San Bernardino entgegen. Dunkel heben sich die Burgruinen des Mesocco gegen den Himmel ab.
Diese wichtige Nord-Südtrasse war früh stark befestigt, um Zölle zu erheben und den Handel zu kontrollieren. Majestätisch liegen die Gipfel vor uns. Bald haben wir eine Höhe erreicht, die einen weiten Ausblick über das Bündner Misox bietet. Ein Teil des südlich vom Bernardinopass liegenden Gebietes gehört noch zu Graubünden . Ein Parkplatz mit hervorragender Lage zur Fernsicht und einem Brunnen bietet sich zur Rast an. Nicht nur wir, sondern auch LKW Fahrer füllen ihre Wasservorräte auf. Ein gemütliches Frühstück auf dieser sonnigen Aussichtsterrasse schliesst sich an. Gut gestärkt setzen wir die Fahrt fort und nehmen bald die Ausfahrt zum Wintersport Ort San Bernardino. Hier wirkt alles wie im Dornröschenschlaf.
Die Skisaison hat noch nicht begonnen, der Sommer ist vorbei und dann ist da noch Corona. Läden, Restaurants und Hotels sind geschlossen. Fenster verhangen und Aussenmöbel zusammen gestellt. Mit einem kurzen Spaziergang zum nahen See vertreten wir uns die Beine, nicht ohne festzustellen, dass wir nun in einer anderen Klimazone gelandet sind. Das milde Tessin liegt definitiv hinter uns. Die Luft ist klar und kühl. Wir sind froh, unsere dicken wattierten Jacken wieder hervor gekramt zu haben. Weiter geht die Fahrt durch denn 6,6 km langen Tunnel, denn die Passstrasse ist bereits in der Wintersperre. Bei Hinterrhein kommen wir wieder ans Tageslicht. Wir trödeln über die schmale Landstrasse nach Splügen weiter. Anscheinend sind wir die einzigen. Kein sonstiger Verkehr. Nur eine endlose Baustelle. Langsam kommen uns Zweifel, ob die Strasse überhaupt geöffnet ist.
Die Orte Hinterrhein, Nufenen und Splügen haben einen sehr eigenen Charakter, etwas schroff und abgelegen. Hier rauscht man meist auf der Autobahn vorbei. Der Campingplatz von Splügen ist für Durchreisen gen Mittelmeer praktisch gelegen. Ganzjährig geöffnet lässt sich hier ein Halt gut einplanen. Neben den in der Schweiz auf fast allen Plätzen üblichen Festcampern, meist mit Holz überdachte Wohnwagen, steht nur ein einziges Wohnmobil auf der Wiese. Wir halten gleich vorne und dann geht es erstmal zum Duschen. Alles ist geöffnet, aber niemand anwesend. Das Flair der 60er Jahre hat sich gut gehalten mit den typischen vorherschenden Farben braun, orange, creme, aber alles ist picobello sauber. Später besetzt eine junge Frau die Rezeption. Der Empfang ist herzlich. Seid wenigen Tage hat das junge Paar aus dem österreichische Feldkirch hier die Pacht von der Gemeinde übernommen. Selbst reisen die beiden mit Allrad Landrover, der mit einer klappbaren Dachbox ausgestattet ist. Er mit Bart und Holzfällerhemd und sie eine aparte Brünette mit roten Wangen werden in den angestaubten Laden sicher frischen Wind reinbringen. Die warme Dusche hat unsere Lebensgeister beflügelt und so geht es auf zum Ortsrundgang. In einem Glaskasten hängt das Konterfei eines vermutlich 100jährigen in verblichenem Schwarz-Weiss. Eine Metzgerei hat Stellagen draussen aufgstellt mit Rinderhälften und Würsten zum Belüften direkt an der Strasse. Na ja hier ist ja nicht viel los. Ein kleines Ecklädchen preist Antiquitäten oder Trödel an zu horrenden Preisen. Gleich gegenüber lädt eine Holztür ein in die Bücherstube einzutreten. Wir folgen der Aufforderung zum kurzen Aufwärmen. Vollgestopft mit angestaubten Werken ist von praxisbezogenen Lehrbüchern bis zu Romanen verschiedener Genres eine bunte Auswahl präsent.
Splügen wirkt etwas aus der Zeit gefallen. Wir drehen noch eine Runde durch den Wald. Die Schatten breiten sich aus und bald sind die letzten Sonnenstrahlen hinter den Gipfeln verschwunden. Wir sehen zu wieder zum Bus zu kommen. Heute wird mit Strom gekocht auf der mobilen Induktionsplatte. Ich stimme mich mit einigen Prospekten auf die Sehenswürdigkeiten der Umgebung ein, um den nächsten Tag zu planen, bis Axel ruft: Essen ist fertig.