Reading Time: 7 minutes

Vorbei am Schiffahrtsmuseum mit ausrangiertem Marineboot und altem Windjammer kommt der klobige weisse Ausflugsdampfer in Sicht, der einen Teil der Marina von Karlskrona abschirmt. Alles ist  augenscheinlich wie wir es von früher kennen, sogar der zu kurze Fingersteg am ersten Gästepier. Wunderlicherweise landen wir nahezu am gleichen Platz wie beim letzten Besuch, denn die Auswahl ist am Abend nicht mehr gross.

Norwegisches Holzschiff am Kai in Karlskrona

Mit einem Unterschied: auf dem Steg am Ende steht ein junger gutaussehender Mann. Dreitagebart, dunkelblondes Haar, das unbändig vom Kopf absteht. Freundlich nimmt er unsere Leinen an. Wir vermuten einen Studenten vom Hafenbüro in der schlaksigen Gestalt. Doch es ist ein deutscher Segelkollege. „Darf ich Euch eine Frage stellen?“, setzt er an. Der Skipper antwortet: „Zwei Fragen hast Du gut“ und erntet ein Grinsen. Derweil positioniere ich die Fender und restlichen Festmacher.  „ Wie ist das mit Eurem Windgenerator, was bringt der, wieviel Ampere bei welchem Wind?“ Das Gespräch entwickelt sich und dauert an bis zum letzten Büchsenlicht. Wir wollen nicht unfreundlich sein, aber da der Seetag lang war, steht das Abendessen noch an. In etwas mehr als einer Stunde erfahren wir, dass sein Boot in England vor ca. 70 Jahren aus Holz gebaut, aber mit Kunststoff später überzogen wurde. Er zeigt auf eine Ketch mit Holzmasten, cirka 10 Meter lang. Der junge Segler hat grosse Träume von Langfahrt und fernen Gestaden. Doch die finanziellen Mittel sind knapp. Er fährt  beruflich zur See und spart soviel wie möglich für die Ausrüstung und Verbesserungen des Bootes. Sein Schiff heisst Sindbad. Wie er da steht auf dem wackeligen Steg und redet mit so viel Elan und Nachdruck, wissbegierig und dem Spirit der Jugend, gleichzeitig so vertraut mit uns, als kenne er uns schon lange, weiss ich; er ist der moderne Sindbad. Als sei er die Inkarnation einer Gestalt weit vor unserer Zeit. Während die beiden Männer, der junge Sindbad und der ältere Skipper weiter fachsimpeln, tauche ich für einen Moment ein in die Geschichten von 1001 Nacht. Genau genommen in die 74.te Nacht, der ersten Reise Sindbads. Der arme Lastenträger Sindbad beklagt sich bei seinem reichen Namensvetter über seine Armut. Da erzählt der reiche Kaufmann Sindbad ihm wie er selbst zu seinem Reichtum gekommen ist durch seine sieben Reisen. Denn obwohl Sindbad über alles verfügen konnte was sein Vater geerbt hatte, beschloss er sein eigenes Vermögen aufzubauen. Zu Beginn seiner Reise auf einem Schiff kommen Sindbad und die Crew auf einer Insel an auf der sie sich niederlassen und Feuer machen. Doch es stellt sich heraus, dass die Insel ein grosser Wal ist, auf dem Bäume und Pflanzen gewachsen sind, weil er so lange an der Meeresoberfläche geschlafen hatte. Durch die Hitze des Feuers wacht der Wal auf und taucht ab. Das Schiff setzt die Segel ohne Sindbad. Der treibt mit einem Fass an einer Küste an wo er sich als Hafenkapitän verdingt und Freund des dortigen Königs wird. Das Schiff trifft wieder auf Sindbad und er erhält seine Habseligkeiten zurück. Sindbad wird vom König reich beschenkt und kehrt nach Bagdad zurück.

In Grunde drehen sich Sindbads Erlebnisse meist um Schiffbruch, dem er auf abenteuerliche Weise entrinnt wie beispielsweise getarnt als ein Stück Fleisch lässt er sich von einem grossen Vogel in die Luft heben, wird über einem Tal abgeworfen und kehrt aber wieder mit Diamanten und Gütern in die Heimat zurück.

Unser moderner Sindbad wird es auf seinen Reisen sicher nicht mit Seeungeheuern oder Kannibalen zu tun bekommen, doch dafür die Auswirkungen des Klimawandels mit Wetterkapriolen, Bürokratie oder technische Herausforderungen zu meistern haben.

Am nächsten Morgen ist Sindbads Platz leer. Er ist am Abend zur Nachtfahrt aufgebrochen. Sein AIS (automatisches Informationssystem) zeigt an, dass er die nächsten Tage nur nachts segelt. Ein echter Sindbad eben.

Sindbad zieht davon

Wir hingegen sind auf der Rückreise und können mit dem ständigen Westwind, der draussen kräftig bläst und immer wieder auf Beaufort sieben anschwillt nichts anfangen. Die nächsten Tage wird der Hafen von Karlskrona ein Sammelbecken der Wartenden und füllt sich immer mehr mit Booten. Wo zwei eingeparkt werden im Normalfall wird noch ein Dritter reingequetscht und auch die rot markierten Plätze wo jederzeit der Stammlieger zurückkehren kann, werden von Gästen belegt, die sonst nicht mehr untergekommen sind, wenigstens für ein paar Stunden, bis sie wieder verholen müssen und auf eine neue Lücke hoffen, die sie belegen können. Wir haben es komfortabel und uns rechtzeitig an einen recht windgeschützten Platz weiter innen verlegt. Die Neuankömmlinge erkennt man vornehmlich an dem hektischen Zusammenklauben von Schmutzwäsche  durch die Bordfrau und dem Schleppen von Taschen mit Wäsche zum Sanitärgebäude, denn in Karlskrona ist das Wäschewaschen gratis bzw. im Hafenpreis enthalten. Da will jede Bordfrau an die Tümmler und zieht in den Kampf der Hackordnung am Reservierungsbrett.

Karlskrona Gästemarina – noch ist Platz

Karlskrona City, kennen wir bereits von früheren Besuchen inklusive Marinemuseum, dass sehr interessant ist und dem alten Kapitänsviertel. Also werden die Räder aufgebaut, Packtaschen ran und schon geht es stadtauswärts Richtung Festland, denn der älteste Teil Karlskronas liegt auf einer Halbinsel.

Die Sonne sticht vom Himmel als wir den Bryggaberget oberhalb der in historischen Gebäuden untergebrachten Ausbildungsstätte für die Küstenwache hochstrampeln, um einen tollen Fernblick  über Karlskrona und die umliegenden Schären zu geniessen. Runter geht es schneller und immer dem Küstenverlauf folgend, erkunden wir die bucklige Insel Hästö. Lauschige Gärtchen mit bunt blühenden Blumen umgeben die in kräftigen Tönen oder pastellig gehaltenen Holzhäuser, die mal stattlich ausfallen oder klein. Unweit dieser Enklave mit hoher Lebensqualität in Pippi Langstrumpf Atmosphäre findet der Bewohner riesige Gewerbegebiete mit Supermärkten, Möbelhäusern, Autozubehör, Sport-, Camping-Ausrüstung und vielem mehr.

Der Kontrast zur ruhigen Wohninsel und dem rauschenden Verkehr im Industriegebiet könnte nicht grösser sein. Unser Vorhaben die nächste Insel Knosö per Rad zu erreichen, geben wir auf. Es wird zu weit. Stattdessen radeln wir nach Lyckeby. Das Flüsschen Lycka ist Heimat für kleine Motorboote, die an selbstgebastelten Stegen an den schilfbegrünten Ufern dümpeln. Nach einem Picknick geht es über die Brücke vor der Staustufe wieder zurück.

Im Segelhafen ist immer etwas los. Ein Motorboot mit Maschinenschaden wird an einer neuen, grossen Hallberg Rassy vorbei von der Küstenwache rangiert. Knapp entgeht der blitzblanke weisse Rumpf des grossen Seglers Schrammen durch den Havaristen. Auf den Stegen herrscht Geschäftigkeit. Einkäufe verstauen, Räder ein-oder auspacken. Persenninge aufziehen, Wäsche aufhängen oder einfach schauen was andere machen. Eben Hafenatmosphäre.

Dadurch, dass wir den Wetterbericht jeden Morgen neu aufrufen, ändert sich auch nichts. Strong headwinds on the nose wie der Brite sagen würde. Früh schon schmiere ich Brote und schäle Möhren. Energetisch packe ich unsere Fahrradtaschen. Schon am Vorabend habe ausgearbeitet wie wir nach Nättraby kommen. Eigentlich ein Kaff, aber das reizvolle ist die Flussfahrt dorthin mit dem Fahrgastschiff „AXEL“. Ja richtig gehört, den Kahn haben wir vor einigen Jahren schon fotografiert mit Axel an der AXEL. Doch es soll nicht sein. Axel verpasst Axel und ich auch. Denn Telefonate führen zum verspäteten Aufbruch und so fährt uns das Schiff vor der Nase weg. Dass hat auch sein Gutes, weil wir feststellen, dass die „Axel“ kaum Aussendecksfläche hat und wir keine Lust haben 1,5 h unter Deck zu verbringen. Vom Kai aus verfolgen wir wie das Ausflugsboot pickepackevoll mit Fahrgästen wegdampft.

Bereits am frühen Vormittag ist es mal wieder sehr warm. So drehen wir eine Runde um die Altstadt vom Karlskrona. Erst über die Insel Saltö, dann zur Insel Dragsö. Fast alle Inseln sind mit Brücken verbunden.

Dabei entdecken wir eine kleine Schiffswerft, die alte hölzerne Motorboote aufarbeitet. Die mehrfach glänzend lackierten Prachtexemplare sind Liebhaberstücke, die sicherlich viele schwedische Kronen und Arbeitsstunden verschlungen haben.

Dragsö ist eine Sackgasse, denn ein riesiger übervoller Campingplatz beherrscht die Insel. Wer hier Urlaub macht, muss ein dickes Fell haben und Ellenbogen, um seine paar Quadratmeter gegen den Nachbarn zu verteidigen, sowohl am kleinen Sandstrand als auch auf dem sonstigen Gelände. Anstehen mit dem Camper, um überhaupt auf den Platz zu gelangen, anstehen am Grillwurstkiosk, anstehen an der Eistheke, ja sogar, um vom Badesteg ins Wasser zu springen. Nach wenigen Minuten haben wir von der Kakophonie aus Kindergeschrei und Motorlärm der an- und abfahrenden Fahrzeuge genug und wenden Richtung eines kleinen zwischen den beiden Inseln liegenden Vereinshafens. Hier herrscht Ruhe. Wir geniessen unser Carepaket am Hafen mit Blick auf die Boote und schauen bei der jungen Hafenmeisterin vorbei. Einer Studentin, die hier ihren Sommerjob ausführt. Sie informiert uns, dass an den äusseren Bojen Gäste festmachen können. Für uns ist der Hafen keine Option, da die Wassertiefe nur zwei Meter beträgt.

Über das Kapitänsviertel Birkaholmen mit den bunten Minihäuschen geht es zurück. Seewärtig nach Süden verläuft eine hohe Mauer, denn der militärisch genutzte Teil von Karlskrona ist Sperrgebiet.

Wir sind froh über den Schatten den Mauer. Ich besichtige die hölzernen Admiralitätskirche Ulrica Pia. Der Skipper wartet bei unseren Rädern.

Marineakademie

Nättraby

Nättraby, vormals Nattraby, übersetzt: Ort wo die Krähe fliegt. In der katholischen Religion symbolisiert die Krähe den Botschafter zwischen dem Menschen und Gott; das Gott in unser Leben eintritt und austritt, dass das Leben sich verändert und verschiedene Phasen durchläuft. Nättraby ist genau genommen Niemandsland. Doch das ist typisch für das ländliche Schweden. Wir sagen auch wo der Hund begraben ist. Aber ich habe mir in den Kopf gesetzt Nättraby zu sehen. Warum? Weil es so schwierig ist, es zu erreichen, obwohl es nicht weit entfernt, ungefähr 13 Kilometer von Karlskrona liegt. Doch der Zug hält nicht, Busse brauchen lange, durch viele Stopps, das Schiff ist uns zu eng und voll. Also trotz der heute wieder auf 28 Grad Celsius gestiegenen Quecksilbersäule ist der Antrieb unserer Tour die eigene Muskelkraft.

Es dauert einige Kilometer, bis man sich vom Speckgürtel Karlskronas mit Industriegebieten, Wohnblocks und entlang der Küstenautobahn abgesetzt hat und endlich in den schattigen Wald eintauchen kann. Genau genommen ist Nätträby nichts besonderes. Mittelpunkt ist eine merkwürdige Mischung eines etwas abgewetzten kleinen Einkaufskomplexes, der die Nordpost, einen coop Supermart, Frisör, Gartenzubehör und Samenladen sowie einen Fensterrahmenvertrieb enthält.

Doch die Landschaft und der mäandernde Verlauf der Nätträbyan, dem Fluss ist es, der den Besuch lohnenswert macht. Eine alte Holzkirche mit Friedhof liegt an der Brücke am Fluss. Unweit davon steht eine frisch lackierte Holzfigur auf einem Fels im Wasser. Ein Schild informiert, hier handelt es sich um Moses.

Wir radeln am Fluss entlang bis zur Mündung. Hier herrscht auf einer Schäre Badebetrieb. Der Wind bläst kräftig und kräuselt kleine Wellen, die an die Felsen schlagen, ins Wasser. Versteckt liegt ein kleiner Hafen an der Flussmündung. Stahlblaue Libellen umspielen die Schilfgürtel des Flussufers. Das ist der richtige Ort eine Pause einzulegen und die Szenerie in sich aufzunehmen. Es ist einfach schön hier.

Axel unterwegs

Das Fahrgastschiff „Axel“ sehen wir in der Ferne auf seinem Rückweg nach Karlskrona. Mal sehen wer schneller ist. Der Dampfer oder wir auf den Rädern.

Mit Tempo geht es zurück, zuerst den schmalen Waldpfad, dann am Flussufer entlang und schliesslich wieder auf die asphaltierte Radwegtrasse entlang der Küstenautobahn. Erschöpft aber zufrieden erreichen wir am Abend wieder die Marina.