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Kalmar

PAN PAN, PAN PAN, this is….., – Swedish Coastguard, who´s calling PAN PAN? Knacken, Knacken und rauschen dann geht der Funkverkehr weiter und zwischen dem Havaristen und der Küstenwache. Nachdem klargestellt wurde, welche Personen an Bord sind, ob es ein Segel- oder Motorboot ist und ob für die Besatzung Rettungswesten vorhanden sind, schlägt die Funkzentrale der schwedischen Coastguard …

vor, dass der Segler zunächst in die Nähe des nächstgelegenen Hafens segeln soll, um dort von einem Boot der Küstenwache eingeschleppt zu werden. Der anfänglich verunsicherte Skipper folgt schliesslich der Aufforderung, denn im Kalmarsund steht aktuell ein erheblicher Schwell mit Kreuzwellen aus Ost und der einlaufenden Windsee aus Südwest. Wir sind froh, dass die Situation gelöst werden konnte, denn eine Schleppverbindung herstellen und ein ähnlich grosses Boot abschleppen bei diesen Seebedingungen ist nicht nur schwierig, sondern kann einem sogar die Achterklampe heraus reissen. Natürlich wirkt für jede Crew erstmal der Schock des Maschinenausfalls und für eine Familiencrew ist es für den Vater an Bord, der gleichzeitig die Bootsführer-, Funker-und Vaterrolle einnehmen muss, der seine Familie beruhigen möchte, keine leichte Aufgabe, die notwendigen Massnahmen parallel auszuführen.

Wir kämpfen uns den südlichen Teil des Kalmarsunds hoch, ständig die bockenden Bewegungen des Schiffes ausgleichend bei den Versuchen die Segel, die reissen und schlagen bestmöglich einzustellen. Das Vorhaben gelingt nicht trotz Zickzackkursen. Nach neuneinhalb Stunden ein- und ausreffen, Segel bergen und setzen ist die nervige Schaukelei vorbei. Der Schlussspurt fordert nochmal Muskelarbeit, denn die mittlerweile kernigen Böjen jagen Astarte den Sund hoch. Wie die Fliegen fallen die Segler in Kalmar ein. Wir haben das Glück einen Platz am Längssteiger zu ergattern. Obwohl der Hafen optisch schon pickepackevoll ist, laufen nach uns noch den ganzen Abend Segelboote ein. Dabei mache ich eine Feststellung zum Skipper: „ Schaumal, schon wieder Finnen.“ Die Reihen der finnischen Nationalen an den Hecks der Schiffe füllen sind weiter auf. Der junge, freundliche Hafenmeister geht auch darauf ein, als wir kurz ins Gespräch kommen. Es ist eine richtige Invasion der Finnen dieses Jahr. Die haben wohl keine Lust nach Osten zu fahren. Das können wie nachvollziehen.

Plötzlich taucht eine grosse Motoryacht Marke Elegance auf. Sie wirkt wie ein Elefant, der den schlanken Segelyachten, den Antilopen und Zebras, folgt. Die Mannschaft besteht aus einem älteren Ehepaar mit Sohn. Der Sohn steuert das Schiff von der Flybridge aus und steigt herunter während die Yacht weiterfährt. Gebannt schauen viele Augen der Yachties auf das Manöver. Lässig dirigiert der junge Mann virtuos den Koloss vom Bug aus mit einer Fernbedienung an den Steg. Rund um den Hafen tummeln sich die Urlauber in den Restaurants und auf den Wegen. Gleich gegenüber unseres Liegeplatzes liegt der Industriekai voll mit Holz. Die Verladung auf Frachter läuft auf Hochtouren. Ebenfalls die Lüftungsanlage des dicht am Yachtsteg liegenden Restaurants und bläst die fettigen Küchendämpfe raus. Einige bleiben nur solange wie nötig, für Crewwechsel, zum Verproviantieren , für Ersatzteile vom Shipchandler oder Dieseltanken. Andere erfreuen sich am Rummel und Getümmel und den Vergnügungen vom Burger bei Mac Donald bis zum Frokostmenü. Vor dem Hafenbüro wird getanzt. Die Musik vermischt sich mit den Lärm der naheliegenden Durchgangsstrasse und dem Krach der einfahrenden Züge am nahen Bahnhof. Hier hat die Stadt die Wohnmobile untergebracht. Die Camper müssen also ein noch dickeres Fell haben, als die Bootsleute.

Kalmar Schloss

Nach einem Rundgang verziehen wir uns unter Deck, abgeschirmt von der Aussenwelt zum Abendessen. Aber das Schöne ist ja, man hat die Wahl und kann die Leinen lösen, um sich vom Land abzusetzen. Am nächsten Morgen  jedoch entscheiden wir uns fürs Bleiben. Ich habe Ikea auf google maps entdeckt im ausserhalb liegenden Gewerbegebiet von Kalmar und schlage dem Skipper vor, dort mal nach einem neuen Duschkopf mit Stange zu stöbbern, denn trotz Zerlegen und Reinigen der alten Dusche in Essig, trat plötzlich ein starker unangenehmer Algengeruch auf, den wir schnellstmöglich los werden wollen. Die Räder sind zügig aufgebaut und bald fahren wir an putzigen Schrebergartenhütten vorbei,  durch schattigen Kiefernwald, entlang an den Seitenarmen des Sundes, die von kleinen Inseln unterbrochen das Naherholungsgebiet der Kalmarer bilden. Wir umfahren ein modernes Schulgelände mit vorbildlichen und phantasievollen Aussenanlagen, durchqueren Wohngebiete und landen schliesslich im Einkaufsparadies. Baumärkte, Autozubehör. Lebensmittel und ein grosses Stadion, dazwischen überall Anhänger für Pommes und Burgerverzehr, die, wenn wir passieren, ihre fettige Geruchsfahne schweifen lassen.  

Zu Ikea brauchen wir gar nicht, denn vor uns erstreckt sich ein riesiges Bauhaus mit seinem rot-weissen Logo. Wenig später haben wir eine neue Duscheinheit erstanden und verzurren den Karton auf dem Rad. Ein heisser Wind wirbelt Staub auf und entlang einer stark befahrenen Landstrasse geht es zurück zum Kalmarer Hafen. Gut, dass das Radwegenetz in Kalmar bestens ausgebaut ist und man so sicher durch den immensen Verkehr kommt.

Die Dusche wird am nächsten Morgen gleich verbaut und schon können wir uns wieder über sauberes Duschwasser freuen. Als wir um 10.00 Uhr den Hafen verlassen, sind wir schon spät dran. Der Tross der reisenden Boote läuft seit den frühesten Morgenstunden an Astartes Rumpf vorbei.  Es wird wieder ein langer Schlag nach Nord. Zwischen dem schwedischen Festland und Öland erstreckt sich der Kalmarsund. Seine ausgefranstere Westküste ist von Untiefen, Inseln und Halbinseln durchsetzt. Öland ist eine recht flache 157 Kilometer lange, aber nur 16 Kilometer breite Insel, die mit einer einzigartigen Natur aufwartet. Neben Ackerflächen gibt es die Alvare, spezielle wüstenähnliche Trockenwiesen, aber auch Moore und Mischwald. Wir haben Öland schon mehrfach besucht und dabei Häfen im Süden von Grönhögen bis Byxelkrog im Norden angelaufen. Besonders im Frühjahr Mai und Anfang Juni erfüllt der in viele Abstufungen von lila und rose blühende Flieder die Luft mit seinem Duft. Alte Abbaustätten der Steinindustrie sind pittoreske Fotomotive. Ob für Küchenarbeitsplatten, Bodenbeläge oder industrielle Nutzung Ölands Gesteinsarten werden vielfältig eingesetzt und weit exportiert. Nicht zuletzt als Molensteine im Hafenbau. Doch da gibt es nicht nur den touristischen Trubel und die Sommerfrische auf Öland. Die Winter sind rauh und Spaziergänge über die schnellbedeckte Insel sicher faszinierend. Die dunkle, kalte Jahreszeit kann aber auch bedrückend sein. Während in der Ferne die Küste Ölands mal dunkelgrün, mal ockerfarben an Steuerbord des Schiffes vorbeigleitet und Astarte mit geblähten Segeln nahezu lautlos unter Autopilot dahin segelt, blättere ich in einer alten Öland Broschüre und verharre bei den Fotos der Winterlandschaften. Die klirrende Kälte scheint förmlich aus den Heft hervorzuspringen und lässt mich bei der Erinnerung  an eine Geschichte frösteln. Vor einigen Jahren machten wir einen Abendspaziergang in Sandvik auf Öland und stiessen dabei auf einen vergilbten alten Zeitungsartikel in einem Schaukasten. Sinngemäss berichtet der schwedische Artikel vom Herbst 2013 über:

Auf Öland geht die Angst um

Rätselhafte Morde auf der schwedischen Ostseeinsel

Eine Mordserie wie in den Krimibüchern des berühmten schwedischen Autors Henning Mankell sie nicht besser lyrisch in Szene  hätte setzen können, ist hier Fakt geworden. Die Opfer wurden erst getötet dann verbrannt. Ein Verdächtiger wurde freigesprochen, doch die Lokalbevölkerung glaubt weiter an seine Schuld. Ein Kommissar vom Kaliber Walllander, der die dunkle Wahrheit ans Licht zerren könnte ist nicht in Sicht.

So ist es immer wieder die gleiche Szenerie: es beginnt mit einem Haus in Flammen, zuletzt in der Ortschaft Flakeböle im Norden der Insel. Ein Nachbar, der zufällig vorbei kam, alarmierte die Feuerwehr. Die Garage auf dem Hof brannte in der Schneelandschaft lichterloh und das Feuer hatte auch auf das Wohnhaus, in dem das Paar in den Fünfzigern lebte, übergegriffen. Auf dem Tisch stand noch das Abendessen , von den Bewohnern fehlte aber jede Spur. Die verkohlten Leichen fanden Polizeitechniker wenig später in der abgebrannten Garage, doch die Obduktion zeigte, dass sie nicht im Feuer umgekommen waren. Der 57-jährige Mann war mit einem Hammer erschlagen worden, seine zwei Jahre jüngere Lebensgefährtin wie auch der Hund des Paares mit einer Schrotflinte erschossen worden. Anschliessend habe der Mörder das Gebäude angezündet, um sein Verbrechen zu kaschieren, lautet die Theorie der Polizei. Die Tat weckt auf der beliebten, schwedischen Sommerurlaubsinsel böse Erinnerungen. Schon im Jahr 2006 war ein Paar in der Nachbarschaft auf ähnliche Weise ums Leben gekommen. Damals hatte ein unbekannter Täter einem 69-jährigen Mann die Kehle durchgeschnitten und dann das Haus angezündet, in dem die Frau sich befand. Die Türen hatte er von aussen verriegelt. So geht auf Öland die Angst vor einem Serientäter um, denn die makabre Verbrechenskette könnte noch andere Fälle umfassen. Besonders beunruhigt die Einwohner, dass der Täter nach wie vor unter ihnen leben könnte. Insgesamt acht Brände, davon 6 mit tödlichem Ausgang haben im Umkreis von nur 20 km stattgefunden. Die Polizei muss verschreckte Anwohner beruhigen, die auf ihrer sonst so idyllischen Insel um ihr Leben fürchten. Die Kripo zögert ,die verschiedenen Fälle in Zusammenhang zu setzen und ermittelt in alle Richtungen. Doch Schwedens bekanntester Kriminologe Leif G.W. Persson, der dafür bekannt ist, für alle ungeklärten Verbrechen Theorien zu entwickeln, spricht in seiner TV Show von einem Serienmörder mit guten Lokalkenntnissen.

Zusammenfassung aus Presseberichten der Stuttgarter Zeitung, focus, die Welt

Zahlreiche Krimibücher und selbst eine TV Serie haben die Insel Öland als Spielort für ihre Plots entdeckt. Schweden ist das Krimiland schlechthin. Leider berichtete der schwedische Innenminister in 2019, dass seit den 1990er Jahren die brutalen Gewaltverbrechen zugenommen haben. Öland scheint eine Historie für seine dunkle Seite zu haben. Archäologen haben Spuren und Überreste bei dem ehemaligen Sandborg gefunden, die auf ein Massaker im 5. Jhdt. hindeuten. Warum ein ganzes Dorf ausgelöscht wurde,ist bisher unerklärt. Man fand allerdings keine Frauenleichen und geht davon aus, das die Frauen entführt wurden.

Ich habe alle Romane von Henning Mankell gelesen, doch sollen Verbrechen Fiktion bleiben.

Voraus liegt mitten im Kalmarsund ein Leuchtturm auf einem kleinen Fels Eiland. Wie sich die Zeiten ändern. Das Seezeichen ist eindeutig zu einem Freizeitsitz umgewandelt worden. Terassenmöbel, eine Anlegestelle und eine Fasssauna sind zu sehen. Am Horizont erhebt sich dunkel der runde Kegel der Insel Bla Jungfru, deren Natur einzigartig sein soll. So ist es verlockend dort mit dem eigenen Boot bei ruhigen Seebedingungen zu ankern. Doch viele Boote haben die Rechnung ohne den Schwell der Fähre nach Gotland gemacht, die zwischen Oskarsham und Visby pendelt. Da hat es schon einige Boote auf die Felsen geworfen, als die Mannschaft auf einem Spaziergang über die Insel war, denn der Ankergrund ist zudem sehr steinig.

Oskarsham

Wir wenden den Bug Richtung Fahrwasser nach Oskarsham. Dort fassen wir die äusserste Heckboje am Gästesteg, schon beim Anlegen im Hinterkopf den Gedanken, auch bei auffrischendem Wind gut ablegen zu können. Der Hafenmeister empfängt uns mit den Worten: „ it can be loud up to three to four o’ clock in the morning. We have two days concert. Eight Swedish pop bands show up for their gigs”.  Ein Blick nach links bestätigt, etliche  Arbeiter sind mit dem Aufbau von Zäunen, Tontechnik und einer Bühne beschäftigt. Zum Glück beginnt das Spektakel erst am Wochenende und so bleiben und zwei Nächte in denen wir ruhig schlafen können. Unser Aufenthalt deckt sich auch passend mit dem Wetter, denn draussen kacheln die Böen und Regenbänder ziehen durch. In Oskarsham gibt es bei dem Wetter aber auch im Allgemeinen für uns nicht viel zu tun, denn wir waren schon einmal hier. Oskarsham ist eine industrielle Hafenstadt, die eher trist wirkt.

Phantasievolle Fassadenmalerei versucht ein bischen dagegen zu arbeiten und die Kirche mit Park, der gleichzeitig Friedhof ist, macht einen gepflegten Eindruck.

Bei einem kurzen Rundgang durch die Stadt, bemerken wir eine lange Schlange anstehender Menschen. Sie wollen Konzerttickets erwerben und nehmen dafür viel Wartezeit in Kauf.

Das Ereignis beherrscht die Stimmung in Oskarsham. Am Hafenkai ist ein grosser Spielplatz mit Plätzen für Padel, eine Art Tennis mit Softball gespielt und ein Wohnmobilplatz. Das Ausflugsschiff zur Insel Bla Jungfru ist stark verrostet und wirkt sicherheitstechnisch bedenklich. Langsam finden sich schicke, schwedische  Motoryachten ein mit Jungvolk oder Eltern mit Teenagern, die sich gleich in Bühnennähe legen.

Die schwedischen Popbands mit Namen wie „The Ark“ und „Tomas Lenkin“  ziehen Publikum an.

Wir haben die Überfahrt nach Gotland verworfen. Mit fixen Verpflichtungen zum Saisonende sind wir schon nördlicher als geplant gesegelt und aus Erfahrung wissen wir, dass mit Wartezeiten auf passende Windrichtungen zu rechnen ist für den Rückweg. In zwei oder drei Tagen wie ursprünglich gedacht, hin und retour lässt sich der Gotland Abstecher nicht bewältigen, denn der Wind hat sich gegen unsere Pläne gerichtet. Da ist es vielleicht auch ein Wink, dass die Tagesereignisse genau einen Tag vor unserer geplanten Überfahrt ein Attentat in Visby vermelden. Am Rande eines internationalen Politikertreffens wurde auf dem kleinen, überschaubaren Marktplatz der Inselhauptstadt eine Passantin willkürlich mit Messerstichen so schwer verletzt, dass sie verstarb. Der Attentäter soll dem Neonazistischen Spektrum zugerechnet werden. Natürlich kann man sagen auf der Welt passiert ständig und überall so viel, doch für uns bleibt ein mulmiges Gefühl.

Von draussen hören wir einen Knall und Stimmen. Wir schauen aus der Luke und stellen fest, dass sich unser Nachbarlieger mit seinem Bugkorb und Ankergeschirr plötzlich  einen Meter hinter uns befindet und manövrierunfähig auf Astarte zutreibt. Schnell können wir seinen Bug abfangen und die junge Frau wirft mir ihre Bugleine zu. So bekommen wir erstmal eine stabile Verbindung, denn hinten sitzt das Boot fest auf der Hecktonne des  Nachbarliegers seiner anderen Seite. Beim Ablegen ist die Yacht durch Versatz über die Hecktonne gedrückt worden und das Vertäungsgurtband des Nachbarschiffes hat sich um den Antrieb gewickelt, damit die Boje unter das Schiff gezogen und der ganze Schlamassel sich unter dem Rumpf vertörnt.

Behende zieht der junge Schwede seine Klamotten aus und eine Taucherbrille an. Er taucht unter sein Schiff, zum Glück ist heute Morgen der Wind abgeflaut. Nach einigen Anläufen kann er den Saildrive von dem Gurtband befreien und der Rumpf kommt frei. Das junge Paar kann ablegen, während der Nachbarlieger seine Heckverbindung zur Tonne mit Hilfe seines Beibootes neu verlegen muss. Nachdem die Aktion über die Bühne ist, hat das Wetter  weiter aufgeklart, so dass wir auch zur Abfahrt starten. Nun vorgewarnt wollen wir tunlichst soll ein Malheur vermeiden und sind froh über unseren Aussenplatz, der uns seitlich Raum gibt, um der wackeligen Boje mit dem Ruder auf keinen Fall zu nah zu kommen. Denn so hartgesotten sind wir nicht, in Badehose zu tauchen bei der noch frischen Wassertemperatur.