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Klemensker und das Spaltental

Unser Nachbar will heute nach Hanö aufbrechen. Zum Glück macht die dänische Familie mit zwei kleinen Kindern nicht in aller Hergottsfrühe los.

Wieder in Hasle auf Bornholm

Denn das Rat Race Richtung Ystad hat schon früh begonnen. Durchs Seitenfenster im Achterschiff beobachte ich die ersten Yachten schon wieder ab 6.00 Uhr morgens aufbrechen. Später dann wieder wie aufgereiht im AIS zu sehen wie sie unter Maschine ums Eck nach Westen fahren. Bei uns klingelt der Wecker um acht. Gegen 10.00 Uhr lösen wir uns von unserem Nachbarlieger, der nicht gedrängelt hat, aber wir wollen ihn auch nicht aufhalten, denn sein Boot kommt mit seinen 46 Fuss nicht so einfach unter. Auch wir müssen nach Westen, aber das geht auch im Zickzack unter Segeln, anstatt mit Maschine gegenan. Wir hüpfen die kurze Strecke herüber nach Bornholm.

Bornholms Küste im Sommerdunst

Schliesslich sind aller guten Dinge drei und es gefällt uns einfach auf der dänischen Granitinsel. Astarte läuft wie von alleine nach Hasle und bald schon liegen wir genau an unserem alten Platz im innersten Hafenbecken. Die angenehme Brise bleibt draussen. An Land flimmert die hochsommerliche Luft und der Badebetrieb am Hafen läuft auf Hochtouren. Am Hafen ist ein kleines Museum mit Motorensammlung.

Der gemächliche Inselbetrieb hat uns wieder aufgesogen. Wir fühlen uns mittlerweile heimisch in Hasle.

Hafeneinfahrt Hasle

Bornholm ist modern.

Bornholm wurde 2020 zur nachhaltigsten Energieinsel der EU ernannt. Auf der Ostseeinsel werden Prototypen von smarten und erneuerbaren Energielösungen erprobt. Nachhaltigkeit steht oben auf der Agenda beim Tourismus und der Herstellung eigener Produkte. Der gesamte Strom Bornholms wird aus Sonne, Wind und Biomasse erzeugt. Es sind pro Einwohner auf Bornholm dreimal mehr Solarzellen installiert, als im Durchschnitt im restlichen Dänemark. Die Hälfte der Inselhaushalte hängt an einer CO2 neutralen Fernwärme aus Kleinholz und Stroh.

Gleichzeitig wird die gute alte Zeit „gelebt“. Das Sommerprogramm für Kinder und erwachsene Besucher ist so vielseitig und mit Liebe gestaltet. Da gibt es die Karamel Kompagniet in Gudhejm, eine Bonbonmanufaktur mit berühmten Lakritzrezepturen. Man kann eintauchen ins „Liquorice Age“ bei einer Kostprobe von Lakritzkaramellen mit Salzkristallen oder Lakritzriegel mit Schokoüberzug. Das Sommertheater Pip Pip hurra! mit seinen verkleideten Komikern, Bläserkonzerte, Chorgesänge, Kunstausstellungen, das Mittelaltercenter mit Schatzsuche nach dem verschwundenen Testament des Erzbischofs Eskil, Glaswerkstätten mit Kursangebot „mach selber Glas“, Clownlauf für einen guten Zweck, Weidenflechterei, Klettern, Sommeryoga im Oluf Hoest Garten, das eigene Eissorbet kreieren, Bootsausflüge, SUP, Kajak, Pferdekutschenfahrten und Radeln durch das Bisongehege, Sandskulpturenfestival. Die Liste würde endlos werden, alles aufzuzählen was man im Sommer auf Bornholm machen, erleben und geniessen kann. Doch der vielleicht amüsanteste Zeitvertreib ist das Hühnerkleckslotto. Man setzt auf Felder und wartet auf den Hühnerschiss.

Wir geniessen den  herrlichen heissen Sommertag wieder an der frischen Bornholmer Meeresluft und brechen auf nach Klemensker. Zunächst folgen wir dem Küstenradweg Richtung Roenne bis Muleby und dann geht es aufwärts und aufwärts über Feldwege vorbei an wogenden reifen Kornfelder. Die Sonne steht hoch. Schweissperlen bilden sich auf unserer Haut. Jetzt heisst es Zähne zusammen beissen und in die Pedale treten, bis wir die Höhe von ungefähr 130 Metern über dem Meeresspiegel erreicht haben. Hierher auf das Hochplateau hat sich heute kaum jemand verirrt. Zumal wir auf privaten Wegen quer durch die Felderflächen kreuzen. Da kommt plötzlich ein riesiges Erntefahrzeug um die Ecke und schnell springen wir vom Rad und schieben ins hohe Feldrainunkraut.

In Klemensker angekommen, stellen wir fest: hier gibt es nichts zu sehen. Ein coop, ein Parkplatz, eine Kirche aus gespaltenem Granit und ein Kro, auch hier fordert die sengende Mittagssonne ihren Tribut und wer kann ist am Strand oder im schattigen Garten daheim.

Die Abfahrt über die breite Landstrasse ist nicht ungefährlich. Im hohen Tempo sausen wir Richtung Küste und dabei übersieht mich beinahe ein überholendes Auto. Der Adrenalinspiegel steigt steil an für die Sekundenbruchteile, die die gefährliche Begegnung dauert und zum Glück geht es messerscharf gut. Etwas mulmig schliesse ich zu Axel auf und wir beschliessen grosse Strassen künftig  noch intensiver auf unseren Radexkursionen zu meiden.

Hasles Kirche besitzt sogar eine Kinderspielecke

Frisch gestärkt nach einem leckeren Frühstück geht es los zu unserem vorerst letzten Ausflug auf Bornholm, denn morgen heisst es Leinen los und ab nach Rügen. Wieder müssen wir hoch nach Klemensker, denn unser Ziel ist ein Spaltental, dass sich von dort zum nördlichen Inselrand erstreckt. Bornholm ist durchzogen von Rissen und Verwerfungen. Spannungen im Untergrund haben zunächst den Grundfelsen zum Bersten gebracht. Die aufgebrochenen Oberflächen verwitterten schneller durch Wasser und Eis. Ein Prozess der im Laufe von Millionen von Jahren entstand. Weicheres Material wurde herausgespült und es entstanden Schluchten mit Wasserläufen, die meist in Süd-Nord Richtung verlaufen. Es finden sich auch mit erstarrtem Magma aufgefüllte Risse, die sogenannten Diabasgänge. Von den  70 Spaltentäler auf Bornholm misst das längste 12 km. Das Mikroklima der engen Täler sorgt dafür, dass eine besondere Pflanzenwelt gedeiht. Im Frühjahr milder als auf den Hochflächen und im Sommer schatttenreicher und feuchter, zählen die Spaltentäler zu den artenreichsten Lebensräumen für Pflanzen und Tiere. Auch uns spenden die hohen, schroffen Felswände und das wild wuchernde Grün angenehmen Schatten. Wenige Wanderer oder Radfahrer sind unterwegs, ansonsten haben wir diese wunderbare Landschaft für uns alleine.

Mit reichen Eindrücken kehren wir zurück an Bord. Bevor wir am nächsten Tag aufbrechen, ziehen wir am Abend ein Resumee: Bornholm wird uns wiedersehen, das bestimmt.

Der Zauber dieser Ostseeperle hat uns eingefangen.