Reading Time: 3 minutes

Animation, die Nordsee vor ca. 10000 Jahren

Das Holz knackt und berstet im Lagerfeuer. Rauch steigt auf. Eine alte Frau trägt Wasser heran. Die Krieger schnitzen an ihren Wurfspeeren. Frauen bessern die Hütten und Zelte aus Stroh und Tierhäuten aus.

So könnte es sich vor zehntausend Jahren abgespielt haben. An einem Ort, der lange Zeit Wasser war und heute wieder Land ist. Wir stehen auf dem Marktplatz von Almere und damit im Durchschnitt 2,5 Meter tiefer als der Meeresspiegel.

Almere liegt auf Flevoland, einem Polder, der durch die Einpolderung eines Teils der damaligen Zuiderzee entstand. Der Name Flevoland hat seinen Ursprung im römischen mare flevum. Vierundvierzig nach Christus gibt der römische Geograph Pomponius Mela seiner Siedlung an einem See diese Bezeichnung. Ungefähr vierhundert Jahre später ziehen die Römer wieder ab wegen Überflutungen. Die Flächen bleiben unbewohnt. Ingenieur Lely entwarf 1891 das grösste Einpolderungsprojekt der damaligen Zeit.  Die Überflutung im Jahr 1916 gab den entscheidenden Anstoss mit dem Projekt zu beginnen. Im Jahr 1932 war der Abschlussdeich fertiggestellt und aus der salzigen Zuiderzee wurde das Süsswassergebiet Ijsselmeer. Die heutige Küstenlinie der Niederlande lag vor zehntausend Jahren hunderte Kilometer weiter westlich. Eine Moor- und Tundralandschaft durchströmt von den Flussdeltas der heutigen Flüsse Rhein, Maas und Schelde waren Lebensraum des Menschen der Mittel-Steinzeit (9000-5000 B.C.), der fischte und mit Speeren und Harpunen Jagd auf Mammuts und Urrinder (Bison Vorläufer) machte. Funde von Hyänenknochen und Knochen eines wolligen Nashorns an der heutigen Küstenlinie sind weitere Zeugen für den Wandel im Zeitablauf. Aus Land wurde Meer. Durch die Klimaerwärmung stieg der Meeresspiegel und das Land wurde in einigen tausenden Jahren unbewohnbar. Bis heute entschied sich der Mensch in diesem „nassen“ Gebiet zu siedeln. Nicht zuletzt sind die strategische Lage und die Fruchtbarkeit des Bodens für ihn entscheidend gewesen. Schliesslich hat sich die Niederlande zu einem grossen Agrarexporteur und mit Rotterdam zu einem der grössten Warenumschlagsplätze der Welt entwickelt. Wir empfinden uns auf einer Zeitreise von den Städten und Festungsanlagen des goldenen Zeitalters zur Moderne.

Die Entwicklung des heutigen modernen Almere startet 1971. Der Architekt Joop van Stigt entwirft die erste Siedlung Almere Haven 1975. Es sind quadratische Cluster von 20 bis 25 Wohnungen.

Fährt man heute durch Almere, dass sich vornehmlich in die drei Stadtteile Haven, Stad und Buiten gliedert, so wird die architektonische Vielfalt der Gewinner der verschiedenen Teilabschnitte sichtbar. Wohnen, arbeiten, Gewerbe, Freizeit und Natur sollen ineinander greifen.

Vierhundert Kilometer Fahrradwege führen durch städisches Terrein, Parks, Naturgebiete wie das Vogelschutzgebiet Lepelaarplassen, die Oostvaardersplassen, das grösste künstlich angelegte Naturgebiet der Welt. Feuchtgebiete, Seen, Wälder und landwirtschaftliche Flächen wechseln sich ab. Der Mensch soll im Einklang mit der Natur leben, aber sie auch nutzen können. Vielfältige Wassersportarten von Schwimmen und Tauchen am grosszügigen Sandstrand, Wasserski in einer Kabelbahn ausgestatteten Anlage zum Flyboarden, Golf, Wandern, Reiten und Fahrradfahren, Skaten – für alles sind Wege und Parks angelegt. Ob Designhotel oder ökologisch angehauchtes B&B bis zum Schlafen in tonnenförmigen Huts am Steg in der Marina, Restaurants, Bistros und Cafes von mexikanisch, über vegan und traditionell, ein riesiges Angebot von Einkaufsmöglichkeiten, Kunst und Theater – hier kommt bei Einwohnern und Gästen bestimmt keine Langeweile auf.

Wir erkunden Almere und Umgebung per Rad. Der Wind bläst und kräftig entgegen, so dass wir uns ins Zeug legen müssen. Wir sind beeindruckt von Architektur und der Professionalität mit der hier der Verkehr per Zug, Auto, Fahrrad, Moped, Roller, elektrischem Skateboard, Kanu, Motorboot getaktet und abgewickelt wird.

Ständig geht irgendwo eine Brücke auf, ein Schlagbaum herunter eine Ampel schaltet und alles per Fernsteuerung. Almere fasziniert, aber für uns hat es keine Seele, bleibt künstliche Retorte, die ihren Zweck erfüllt.