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Es ist ein Uhr, die schwüle Hitze drückt, klar zum Auslaufen. Kaum haben wir das geschützte Hafenbecken von Texel verlassen, kommt uns schon eine leichte Brise entgegen. Im Ausfahrtskanal schallten uns Duddelsackklänge entgegen. Am Ende der Mole steht ein Duddelsackspieler und bläst seine Töne in den Wind. Verheissungsvoll klingt die Melodie in unseren Ohren. Wir werten diesen ungewöhnlichen Auftritt im Land der Windmühlen als gutes Ohmen für unsere Reise nach England.

Kaum haben wir das Mars Diep erreicht strudeln die Wassermassen heftig. Der ablaufende Ebbstrom wird zwischen Festland und Insel Texel gepresst. Das stört die Seehunde auf der Sandbank wenig. Sie strecken ihre Bäuche der Sonne entgegen und lassen sich auch durch diverse Seal watching boats vollbepackt mit knipsenden Gästen nicht aus der Ruhe bringen.  Angler nutzen die Strömung und hoffen an den Sandbank Kanten auf guten Fang.

Derweil lassen wir Texel hinter uns. Schnell verschindet die Insel im Dunst. Unter Motor halten wir unsere vorab berechnete Durchschnittsgeschwindigkeit. Nach ungefähr zwei Stunden stellt sich dann endlich ein konstanter Wind ein. Auf See herrscht Nebel. Die Luft ist angereichert mit Feuchtigkeit. Überall schlagen sich Wassertropfen nieder. Die klamme Kälte lässt einen erschaudern.

Milchig bestrahlt die Sonne die Schwaden. Wir wechseln uns mit den Wachen ab. Nun heisst es vorschlafen, Ruhe finden, trotz der knarzenden Geräusche und den Schiffsbewegungen. An Deck ist volle Konzentration gefragt und der Bildschirm mit AIS Signalen und Radarbild muss ständig beobachtet werden. Ab und zu brummt ein Flugzeug über uns hinweg. Ansonsten wird die gespenstische Atmosphäre nur von Funksprüchen unterbrochen.

Um 20.50 Uhr CEST erreicht uns eine Funkdurchsage der niederländischen Küstenwache als MAYDAY relay: „man over board, wearing a blue overall and white helmet, search area 53°28‘1‘‘N 003°49‘2“E and 54°17‘00“N 004!50‘8“E, coastguard vessels and four helicopters are in the search area, all ships are requested to keep a sharp lookout“ Wir erschaudern und wissen was das heisst. Bei dreizehn Grad Wassertemperatur sind die Überlebenschancen gleich null. Der menschliche Körper reagiert mit Schock und Bewusstlosigkeit, die Körpertemperatur sinkt schnell ab. Wir können nichts tun. Mit 40 Seemeilen Entfernung zum Suchgebiet würden wir dort in der Dunkelheit ankommen. Also laufen wir weiter unseren Kurs und hoffen, dass der Mann gefunden wird. Nachdem wir die Gasplattform P6D in ausreichendem Abstand passiert haben, so dass wir von ihr nur das Nebelsignal zweimal kurz, einmal lang hören, klart es etwas auf. Um 01.15 Uhr übernehme ich die unbeliebte Hundewache. Mir wird schnell kalt und ich wechsele den Segelanzug gegen Daunenjacke, Daunenweste und Thermohose. Dann kann ich den funkelnden Sternenhimmel richtig geniessen. Anfangs steht der Mond als Sichel am Himmel. Ich siniere noch über seine unregelmässige Form. Ein Ende ist spitz, das andere abgerundet, als er auch schon verschwindet. Nun wenden sich meine Gedanken den Milliarden von Sternen zu, die in dieser klaren Nacht ungestört durch Lichter strahlen. Wer wohl bereits hunderte, ja tausende von Jahren vor mir auf sie geblickt hat. Plötzlich fühle ich mich ganz klein in der Grösse des Universums. Bei diesem Anblick ist die Müdigkeit vergessen und ein unsäglich glückliches Gefühl breitet sich in mir aus. Lange kann ich den melancholischen Gedanken nicht nachhängen, denn der Schiffsverkehr erfordert Beobachtung. Leichte Kurskorrekturen und Änderung der Segelstellung sind erforderlich, um genügend Abstand zu den Fähren, Tankern und Frachtern zu haben, die rund um die Uhr Waren und Menschen an ihre Bestimmungsorte transportieren. So vergeht die Zeit mit dem Antippen der fahrenden Objekte und der Auswertung ihrer Daten. Bereits um 04.15 erscheint im Osten ein Hauch von Helligkeit. Sehr müde aber zufrieden, den schwierigsten Teil der Nacht einigermassen ereignislos überstanden zu haben, schäle ich mich aus meinen Lagen Textilien und gehe in die Koje. Axel übernimmt. Nach 83 Seemeilen muss der Motor ran. Nach 22 Std und 40 min machen wir Landfall in Lowestoft. Die Küste mit der typischen Skyline der Backsteinhäuser und ihren Schornsteinen mit den bunten Beachhuts an der Küste und dem aus der Ferne gelb leuchtenden Strand davor, liegt aufgeräumt und einladend voraus.

Bei angenehmen moderaten Bedingungen passieren wir die vorgelagerten Sandbänke und melden uns bei Lowestoft Port Control an. „Yes Ma´am, you may approach the harbour“, bekomme ich das GO zum Einlaufen. Im Päckchen an einem Holländer machen wir im Hafenbecken des Royal Norfolk & Suffolk Yacht Clubs fest.