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Das aristrokratische Seebad der russichen Zaren und Eliten ist heute ein Urlaubsort für die poshe betuchte Oberschicht. Man könnte es auch als  das Saint Tropez Finnlands bezeichnen. In der schicken Marina Östersjö Portti sind Langfahrtsegler die Ausnahme.

Hochglanzpolierte schwarze Sunseeker Motoryachten dümpeln neben schnittigen dunkelblauen Swans oder Baltics. Rassige alte Holzyachten, in die viel Geld für die Restaurierung geflossen ist, liegen mit glänzend lackierten Rümpfen majästetisch am Steg. Es herrscht ständiges Kommen und Gehen auf den Stegen und pausenloses An- und Ablegen auf dem Wasser. Die Bordfrau trägt hier wattierte Weste in rosa, grün oder hellblau von Haglöffs oder anderen Designermarken über blau-weiss gestreiftem Shirt und weisser oder beiger Short. Der Skipper ist braungebrannt und von sportlicher Figur. Gant, Henri Lloyd und Musto Klamotten gehören zu seiner Grundausstattung. So gibt es viele Gelegenheiten gesehen zu werden. Beim Hundeausführen, Gang zur Toilette oder Sauna, Restaurantbesuch, Eis kaufen, Hafengebühr bezahlen, die Fähre zur Stadt benutzen und Einkäufe, Taschen, Equipment aller Art durch die Gegend transportieren. Dazu stehen Handwagen bereit. Das junge Hafenpersonal im dunkelblauen Werbeblouson von Mercedes oder Nescafe (neuer Sponsor hier) und beigen Shorts ist hingegen motorisiert. Mit Quad und Anhängern brausen sie zum Abtransport von Müll und Aufstocken der Weinvorräte für das Restaurant über die Stege. Jeden Morgen baut eine langbeinige Blondine im knappen  Outfit vor dem Hafenbüro den Nescafe Marketingstand auf, um dann den ganzen Tag kaugummikauend und gelangweilt in ihr Handy tippend hinter dem Stand zu lungern. Netter Sommerjob! Die Hunde sind hier genauso exaltiert wie ihre Besitzer und lassen sich ausgerüstet mit Schwimmweste und Designerhalsband zur extra für sie zur Verfügung stehenden Hundeklo-Insel führen. So spalieren an unserem Liegeplatz mehrmals als Tag die exakt getrimmten Riesenschnauzer, Scotchterrier oder Spitzhündchen immer im Doppelpack vorbei. Der stolze Hundehalter hat hier nicht einen Hund, sondern gleich zwei derselben Rasse. Unser Stegnachbarn, ein älteres finnisches Ehepaar scheint etwas handfester. Sie helfen uns beim Anlegen und wir erfahren, dass die beiden dieses Jahr noch nach Holland wollen, wo das Schiff den Winter über in der Rotterdam City Marina liegen soll. Nächstes Jahr geht es dann wieder zurück. Unterdessen zieht der Wind schon an. Die nächsten Tage fühlen wir uns wie in einem Gitarrenkasten. Der Wind lässt die Wanten summen und  Hafen ist erfüllt vom Orgel- und Pfeiffkonzert der Luftbewegung. Unbeeindruckt von den böigen 6 bis 7 Beaufort geht der Hafenbetrieb weiter. Manch einer unterschätzt allerdings sein Können und benutzt bereits liegende Boote als Fender oder Crashzone. In Luv unseres Nachbarn manövriert sich ein Storebro Motorboot in die Nähe der Box. Eine junge Frau in obligatorischer knapp gehaltener Wattejacke, diesmal in grün, springt auf den Seitensteg, aber ohne Leine. Die Kommunikation zum Fahrer ist Null. Er macht einen zweiten Anlauf. Nun greift sie die Vorleine und befestigt diese auf der Mittelklampe des Seitensteges anstatt vorne am Hauptsteg. Das Motorboot kommt unserem Nachbarboot bedrohlich nah. Der Skipper befehligt im letzten Moment, dass sie die Leine wieder schmeissen soll. Gas voll zurück, befreit er das Boot aus dem Beinahe-Crash. Der dritte Anlauf klappt, aber trotz allem landet er auf seinem Nachbarlieger, wenn auch abgefendert. So könnten sich noch endlos die Manövergeschichten dieser windigen Tage aneinanderreihen. Aber es gibt anderes zu tun. Mit der Fähre setzen wir über nach Hanko und vorbei an vollen Restaurants, Marktständen und der Betriebsamkeit eines Urlaubsortes in vollem Swing geht es mit grossen Rucksäcken zum Supermarkt. Der Rückweg erfolgt entlang der schönen Küstenroute vorbei an prächtigen Holzvillen, dem Kursaal und hübschen Parkanlagen.

Für Sightseeing bleibt keine Zeit. Ich muss die Ursache für meine Ohrenschmerzen untersuchen lassen. Am nächsten Morgen konsultiere ich das örtliche Krankenhaus. Alles wirkt einfach aber sauber. Eine junge blonde Schwester spült mein Ohr mit Wasser aus. Der Abrechnungsvorgang dauert länger als die Untersuchung. Nun soll sich das Ohr beruhigen. Alles wäre rot, aber es wäre keine Entzündung, man müsste abwarten und es mit Olivenöl behandeln. Also Entwarnung und zunächst scheint auf dem Rückweg Besserung einzutreten.  An Bord dann der Rückschlag. Mit starken Kopfschmerzen lege ich mich schlafen. Nach einer unruhigen Nacht scheint das Schlimmste überstanden. Doch die Strategie geht nicht auf. Die Empfehlung bewirkt eher eine Verschlimmerung. Ob es Zweck hat hier noch einmal zum Arzt zu gehen? Die Entscheidung wird mir schnell abgenommen. Statt noch gemütlich den letzten Tag der Starkwindphase in Hanko zu verbringen, laufen wir aus. Man hatte weder uns noch die anderen Gäste vorgewarnt. Der Jahreshöhepunkt einer Regatta mit hunderten von Booten steht an. Da sind die Plätze lange im Voraus reserviert.

Glücklicherweise hat der Wind am Vormittag etwas nachgelassen, doch mittags würden die letzten Ausläufer der Front wieder mit an die 30 Knoten über uns hinwegziehen. Also jetzt oder nie. In Rekordgeschwindigkeit machen wir uns und Astarte seeklar. Die Ohrenschmerzen müssen warten. Zwei Mützen übereinander, Hektik und Aufregung lenkten die Gedanken ab. Unter Maschine kämpfen wir uns durch die Schärenfahrwasser gegen den Wind voran. An Segeln ist nicht zu denken. Zu eng die Fahrwege und der Wind weht  genau gegenan. Das in den Büchern theoretisch als geschütztes Revier mit flachem Wasser beschriebene Gebiet zeigt nun seine Zähne. Schaumkronen auf kleinen steilen Wellen und bissige Böenketten lassen das Boot selbst unter Maschine krängen und die Gischt bis zum Cockpit fliegen. Wütend klatschten vereinzelte Wellen gegen den Bug und ergiessen sich platschend an Deck.  Meile um Meile werden gezählt  und die Stunden in dem Getose kommen mir endlos vor. Ohne die Unterstützung der elektronischen Navigation wäre man in diesem Wirrwarr aus Wasser und Stein verloren. Wie haben es nur die Wikinger geschafft sich hier zurechtzufinden? Eine Insel gleicht der anderen und unter Wasser lauern knapp überspülte Felsen.  Wie erleichtert sind wir, als endlich die Einfahrt zum Fahrwasser nach Lammala vor dem Bug auftaucht. Kaum haben wir die trichterförmige Einfahrt passiert und laufen an den bewaldeten Ufern vorbei, geht der Wind auf eine angenehme Stärke zurück. Im Schutz der hohen Baumwipfel liegt eine Szenerie wie sie nach der Sturmfahrt konträrer nicht sein könnte. Die Sonne bescheint eine friedliche Bullerbü-Landschaft mit roten Holz-Bootshäuschen, Stegen an denen sachte kleine Boote schaukeln und wiegendem Schilf am Ufersaum. Hier fällt der Anker in den weichen Schlick – unser erstes Ankern in diesem Jahr – und wir pellen uns erschöpft aus der Schwerwetterkleidung und den Schwimmwesten. Bei  heissem Instantkaffee und Keksen lassen wir am frühen Abend diesen aufregenden Tag ausklingen.