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Der einzige Bus geht nach Kaina oder Kärdla. Wir entscheiden uns für Kärdla. Dort gibt es wenigstens Supermärkte. Die Insel Hiiuma kennen wir schon vom letzten Jahr. Das Sightseeing ist also eigentlich abgehakt. Weil aber am Hafen absolut tote Hose ist, entschliessen wir uns kurzfristig zur Bustour. Links und rechts nichts als grün. Endlose Wälder, selten mal ein Haus. Nach einer guten halben Stunde steigen wir in Kärdla aus. Erst geht es schnell zur Rückfahrt Haltestelle.

Norsküste Hiiumas

Nordküste Hiiumas

Denn die Busse fahren hier selten und wir wollen auf keinen Fall die Rückfahrt verpassen. Die drei Stunden Aufenthalt sind mehr als genug, um die wenigen „Attraktionen“ hier abzugrasen. Als da wären das Gemeindehaus mit Bibliothek, die Kirche, zwei Cafes, zwei Konsum Supermärkte, Langhaus, ehemalige Tuchfabrik und den Hafen. Ach, ein Reisebüro gibt es auch.

Die Vorstellung hier aufzuwachsen uns sein Leben zu fristen,

erfüllt uns mit Erschrecken. Zu abgelegen und trist erscheint uns hier das Dasein. Oder wird die Atmosphäre durch das Regenwetter bestärkt? Schliesslich versucht man mit hübschen Blumenkübeln und einigen frisch gestrichenen Holzhäusern in bunten Farben  Freundlichkeit hereinzubringen.

Sind wir Grosstädter vielleicht zu verwöhnt? Nein es ist etwas anderes. Die Zeit der Unterdrückung ist mahnend und unterschwellig präsent in den Gebäuderelikten der Sowjetära, in dem gebeugten Gang mit gesenktem Kopf der Alten und ihrem vorsichtigen scheuen Seitenblick. Diese Beklommenheit lässt sich auch durch moderne Zapfsäulen für Elektroautos und Schilder „ Hier investiert die EU in…“ nicht wegwischen. Mahnend den Blick zur Kirche gerichtet, sitzt die Bronzestatue eines Soldaten auf sargförmigen Blöcken. Eine Wand mit vielen Namen erinnert an Menschen aus Hiiuma, die im zweiten Weltkrieg gefallen sind. August, Karl, Friedel…

Doch nicht nur Kriege forderten ihre Opfer, sondern auch die fast 50 jährige Sowjetherrschaft. Später erfahren wir, dass besonders die Bevölkerung der Insel Hiiumaa durch die  Zwangsdeportationen nach Sibirien gelitten hat. Hiiumaa steht für den deutschen Namen Nackmann. Das Volk der Esten war oft und lange fremdbestimmt. Mal deutsch, schwedisch, russisch. Die dem Baptisten John gewidmete Kirche liegt eingebettet in einem Park mit altem Baumbestand. Hier herrscht absolute Stille. Wir laufen weiter Richtung Marina. Der nagelneue, moderne Yachthafen holt uns wieder in die Gegenwart  zurück. Moderne Hallen für Yacht- Winterlager, ein schickes Restaurant, Servicegebäude stehen neben einigen alten Lagerhäuser in denen Wolle aus Neuseeland und Australien  für die Fabrik eingelagert wurde.

Ebenso Vorräte für den langen Winter, da die damaligen Eisbrecher nicht stark genug waren und der Schiffsverkehr zeitweilig eingestellt werden musste. Besondere Bedeutung kommt dem Viinaladu zu. Es ist das Lagerhaus für Vodka, der wohl die einsame Winterzeit erträglicher machen sollte. Auch wir denken daran, unsere Vorräte aufzufüllen, vor dem Sprung nach Finnland. Schwer bepackt geht es zurück zur Bushaltestelle. Den Weg hätten wir uns sparen können, denn der Bus fährt mit uns erstmal wieder zurück zum Supermarkt und hält dort direkt vor dem Eingang. Erschöpft nicke ich im Bus ein. Der frühe Start am Morgen fordert nun seinen Tribut.