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Port Noblessner – Rennyacht

Tallinn Domberg

Bei Nebel und Regen und dunstigem schwülheissem Wetter, ist es uns bisher noch nicht gelungen gute Fotos vom mittelalterlichen Stadtkern zu machen. Endlich ist es morgens klar und der Himmel strahlt blau. Wir entscheiden uns, zur Stadt zu laufen und erreichen nach einer halben Stunde eine Aufstiegstreppe zum Domberg. Die Altstadt besteht aus zwei eigenständigen Teilen: der Ober- und Unterstadt. Zwei Gassen verbinden die beiden Teile. Sie werden als die zwei Beine Tallinns bezeichnet; das lange Bein (Pikk jalg) und das kurze Bein (Lühike jalg). Der Domberg selbst hat viele Kopfstein bepflasterte enge Stiegen. In früheren Zeiten lebten die Adeligen auf dem Domberg und schauten auf die Kaufleute und Handwerker herab was ihnen ja auch im symbolischen Sinne immer nachgesagt wird. Die Stadtmauer wird von runden Türmen unterbrochen. Sie sollten die Stadt schützen und boten Raum für Soldaten und Waffen. Die Türme tragen verschieden Namen: Jungfru (Mägdeturm), Eppinger, Kiek in de Koek, Pik Hermann.Der Turm Kiek in de Koek ist mit seinen 38 Metern so hoch, dass die Wachen früher scherzten sie könnten vom Turm durch die Schornsteine der darunter liegenden Häuser direkt in deren Küchen schauen und sehen was gekocht wird (Kiek in de Koek = Schau in die Küche). Der Pik Hermann Turm, also Langer Hermann wurde 1371 erbaut und steht an der südwestlichen Ecke der Burg Tompeea. Die Burganlage behebergt heute den Sitz der Regierung Estlands. Jeden Morgen wird die blau/weiss/schwarze Nationalflagge Estlands auf dem Langen Hermann gehisst. Darauf ist das Volk besonders stolz, denn die Flagge durfte 47 Jahre lang nicht wehen.Viele Namen und Begriffe wie Leib für Brot sind dem Deutschen entlehnt. Als alte Hansestadt Reval war das Plattdeutsche damals offizielle Amtssprache der Hanse und somit nahezu im ganzen Ostseeraum die Sprache Nummer eins. Vieles hat sich davon bis heute gehalten und daher ist in dem Ländern rund um die Ostsee von Schweden über das Baltikum bis Polen für den deutschen Reisenden das Lesen und Verstehen der einzelnen Sprachen nicht zu schwierig. Nach und nach klappern wir alle Aussichtsplattformen auf dem Domberg ab, die übrigens …

rappelvoll mit Touristen sind. Amüsiert beobachten wir die Asiaten wie sie sich mit zur Pose verzogenem Gesicht zum selfie drapieren und ihre Sticks mit I-Phone hoch halten. Abhaken wollen wir noch die Domkirche zu St. Marien. Sie diente einst den Adligen Tallins und noch heute hängen viele Wappen an den Wänden. Der Gegenpol ist die Alexander Newsky Kathedrale. Die russisch orthodoxe Kathedrale, eingeweiht 1900 als Zeichen des Herrschaftsanspruchs Russlands, hat ein Glockenensemble aus 11 Glocken, die 15 Tonnen wiegen. Es geht runter zum Marktplatz durch einige abgelegenere Gassen mit den Bürgerhäusern von denen einige mit Informationstafeln versehen sind, wer früher dort gelebt hat. Es waren deutsche Kaufleute. Nach diesem anstrengenden Vormittag laufen wir zum Solaris Einkaufszentrum, um etwas zu essen. Ein grosses Selbstbedienungsrestaurant im Solaris hat sich zu unserem Lieblingsspot gemausert, als Rückzugsort vom Trubel und um den Appetit zu stillen. Vorbildlich gibt es am Eingang erstmal ein Waschbecken zum Händewaschen bevor man sich ein Tablett nimmt und an verschiedenen Garküchen vorbei wandert. Verschiedene kalte Joghurtsuppen (Gurke/rote Beete), heisse Suppen, Fischgerichte, Hühnchen, Kartoffeln in vielen Zubereitungsformen und Fleisch sowie Kuchen, Eis, Milchmixgetränke mit Rhabarber, Kräutern, Piroggen, Pfannekuchen ist im Angebot. Die Aufzählung liesse sich endlos fortsetzen. Das Publikum ist bunt gemischt. Spannend ist es jedes Mal welche unterschiedlichen Zusammenstellungen sich die Gäste holen. Während unseres Tallinn Aufenthaltes probierten wir unterschiedliche Leckereien aus und sind nicht enttäuscht worden.

Bild 2 und 3: Asiatische Touristen beim Selbstbildnis am Domberg

Bild 4: Blick über die Altstadt mit dem Turm der St Olaf Kirche

Bild 5: Alexander Nevsky Kathedrale, russisch orthodox

Bild 6: Marktplatz mit Bürgerhäusern

 

Ausflug nach Nomme mit Glehn Castle

Mit dem Bus erreichen wir das Stadtviertel Nomme. Es ist mal wieder ein heisser Tag. Nomme ist ein Viertel mit grosszügigen Villengrundstücken. Alte Holzhäuser aber auch moderen Architektenhäuser stehen auf grossen gepflegten Waldgrundstücken. Geschäftstrassen grupperien sich um einen Marktplatz auf dem feste Holzhäuschen Bäcker, Kunsthandwerk, Schuster, Textilverkäufer beherbergen. Empfindliche Frischwaren wie Fleisch, Feinkost und Fischstände befinden sich in einer alten Markthalle. Obst und Gemüse wird aus mobilen Ständen mit hüschen rot-weissen Stoffdächern angeboten. Ein grosses Angebot von Heidel-, Blau-, Himbeeren, Erdbeeren, Stachelbeeren, verschiedenen Kartoffelsorten, Gurken, Tomaten usw ist ansprechend aufgebaut. Wir kaufen grosse dunkelrote Kirschen als Wegzehrung. Über eine Fussgängerbrücke geht es in den Pinienwald. Sofort umfängt uns der typische intensive Waldgeruch. Harzgeruch liegt in der Luft. Der Boden ist weich. Jeder Tritt gedämpft auf dem braunen Nadelteppich. Alle paar Meter türmen sich braune Ämeisenhaufen neben den Baumstämmen auf. Wir treten näher heran und beobachten eines der vielzähligen Millionenvölker bei der Arbeit. Der Wald verschluckt alle Geräusche. Nach einer Weile kommen wieder Häuser in Sicht. Ein schön angelegter Kinderspielplatz liegt neben einer Skisprunganlage, die mit grossen Scheinwerfern ausgestattet ist. Sehr weit oben sehen wir zwei Personen mit Ski und Helmen. Anscheinend kann man wohl im Sommer und Winter diesen Sport ausüben. Schnell merken wir, hier wohnt die Upper Class. Entsprechender Fuhrpark vor dem Haus: Range Rover, Porsche. Nahezu jedes der Anwesen hat einen Schäferhund auf dem Gelände und Schilder Kuri Koer (wachsamer Hund) warnen vor dem uneingeladenen Betreten.

Ein Klettergarten und eine gepflegte Schwimmbadanlage bilden ein weiteres Freizeitangebot in diesem Viertel.

Unser Weg führt uns durch schattige Stufenwege zwischen hübschen Villen und durch den Wald weiter zum Glehn Schloss.

Das auf einem Felsbuckel gelegene Schloss wurde 1886 vom deutschen Grafen Nikolai Glehn erbaut. Uns erinnert es ein bischen an eine Rheinburg bei Bingen. Schnell ein Foto und dann zurück, denn vor Marktschluss wollen wir unbedingt noch ein leckeres Schwarzbrot kaufen. Mit dem Bus lassen wir uns wieder durch die halbe Stadt zurückschaukeln. Mittlerweile sind wir so viel Bus gefahren und haben die Ansagen für die Haltestellen gehört, dass uns die Namen nicht mehr aus dem Kopf gehen.

Wir singen unseren Ohrwurm: Meremertus Kalamaja, Meremertus, Laishmaa, Meremertus Kaubamaja, Meremertus Kundla, Meremertus, Randla, Meremertus Merepuiste, Meremertus Volta, Meremertus Linnahall…..(Meremetus = nächster Halt auf estisch).

Bild 1: Ameisenhaufen im Wald

Bild 2: Villa mit Waldgrundstück

Bild 3: Glehn Castle

Verlängerung Anschlusstage und der grosse Ruck

Der Durchzug einer Schlechtwetterfront hält uns noch drei Tage länger in Tallin als geplant.Unser Besichtigungsprogramm ist abgeschlossen und wir nutzen die Zeit zum Einkaufen, denn in Finnland soll ja alles einiges teurer sein.

Wetterbedingt verbringen wir aber auch viel Zeit an Bord. Wir wollen das Schiff nicht alleine lassen am Steg, denn das grosse Hafenbecken ist gegen Wellen nicht sonderlich geschützt.

Im Rigg pfeifft es, Regen prasselt nieder, Gewitterböen ziehen durch. Wir schwingen hin und her. Der Hafenmeister und seine Freundin halten einen Abend bis 1.00 Uhr Wache, um Schiffe besser zu sichern und den schwankenden Pontoon zu beobachten.Von der Fussgängerrampe, die den Betonkai mit der schwimmenden Steganlage verbindet, sind mehrere Kunststoffrollen abgefallen. Wenn wir die Rampe benutzen, hoffen wir, dass die rostigen Ketten, die sie in der Luft halten, der Dauerbelastung des Schamfilens noch standhält, so lange wir hier sind.

Zwei Tage vor der Weiterfahrt ruckt es am nachmittag plötzlich so gewaltig ein, dass ich im Salon fast umfalle. Ein Kreuzfahrtschiff oder eine Fähre hat so viel Schwell verursacht, dass die Schiffe im Hafen gewaltig hin- und her pendeln. Am nächsten Morgen stelle ich fest, dass ein ehemaliges Militärboot, ein Museumsrumpf, gesunken ist. Vermutlich ist er Leck geschlagen durch den Schwell. Ein Tauchteam erscheint später zur Inspektion. Vor unserer Abfahrt ereignet sich noch ein Müllbrand am Hafenmeisterbüro ganz in unserer Nähe, der zum Glück rechtzeitig gelöscht wird. Ungeduldig beobachten wir die Wetterentwicklung. Langeweile kommt auch ohne Stadtgänge nicht auf. Bei 20 Knoten Seitenwind ist das Anlegen an den Bojen nicht einfach, zumal, wenn bereits ein Hafen gut belegt ist. Am Morgen beschliessen wir eine Leine zu einer zweite Boje auszubringen, damit das Schiff besser gesichert ist bei Starkwind. Angekündigt sind 27 kn Windgeschwindigkeit.Ich streife meinen Neoprenanzug über und steige in die Hafenplörre. Mit dem Tau in der Hand schwimme ich gegen den Wind zur Boje. Die ca. acht Meter sind schwieriger zu überwinden als ich dachte. Endlich ist es geschafft und ich klettere wieder an Bord. Da kommt eine Holz-Gaffelketch unter deutscher Flagge in den Hafen. Der Skipper scheint einhand. Vorsichtig tastet er sich vor und sucht vergeblich einen Platz wo er mit dem langen Bugspriet unter kommen kann. Seitenstege sind in diesem Revier eher die Ausnahme. Wir stehen beide am Steg und winken ihn heran. Der alte Salzbuckel versucht neben seiner Arbeit als Rudergänger nun eine Tonne zu erwischen und die Leine einzuhaken. Dies gelingt auch aber sein Schiff schlägt quer, der Wind erfasst die Angriffsfläche, drückt sie sofort herum. Die Ketsch kommt mit ihrem Bugspriet wie mit einem Rammbock den nächsten Booten gefährlich nah. Hilflos überläuft der Deutsche einige Bojen. Die Leine samt Haken rutscht unter den Rumpf und wir denken nur: Wenn er jetzt auch noch seine Leine in die Schraube bekommt, dann ist nichts mehr zu machen. Glück gehabt. Der Haken taucht wieder auf. Das Schiff treibt weiter ab. In letzter Minute wirft er eine Spring und wir ziehen, belegen, bekommen die Masse gestoppt. Wir ziehen in längseits und er kramt erstmal weitere Leinen aus einer Kiste. Völlig erschöpft hat der Skipper keinen Plan für weiter Aktionen. Immer noch im Neopren, biete ich ihm an, seine Bugleine schwimmend zur Boje auszubringen. Aber dies ist nicht notwendig, denn ein Este biete sich an mit seinem Motorboot, einem schwarzmatt lackierten Rennboot, die notwendige Leinenverbindung herzustellen. Schnell springe ich mit der Bugleine auf das wackelige glatte Heck des eleganten Racers und versuche mich festzukrallen als die zwei jeweils 150 Ps Motoren los brummen. In einer Hand die stramm werdende Leine und mit der anderen an der Klampe des Motorboots, jongliere ich auf dem Heck. Um ein Haar crasht das Heck mit dem Holzsegler zusammen. Axel und der Skipper fieren am Bug. Die Leine wird durch die Ringöse der Boje gezogen. Zurück am Steg ziehen alle mit vereinten Kräften das schwere Holzschiff herum, so dass es mit dem Heck zum Steg liegt und vorne eine Boje als Befestigung hat. Wir raten dem Einhandsegler noch einen gehörigen Abstand zwischen Heck und Steg zu bringen, sonst splittert sein Holzruder bei dem nächsten Wash gleich weg. Dann geht es zurück an Bord und nach zwei Stunden endlich aus der Neoprenhaut heraus unter die warme Dusche.Samstag ist es endlich soweit. Wir haben alles für die Abreise vorbereitet und wollen am Morgen auslaufen. Doch nach einer Seemeile müssen wir umkehren. Vor uns steht eine dichte weisse Nebelwand. Auslaufende Schiffe sind schon in ihr verschwunden. Wir entscheiden, dass wir bei der starken Verkehrsdichte kein Risiko eingehen wollen und drehen den Bug wieder dahin wo wir hergekommen sind. Fest am alten Liegeplatz frühstücken wir erstmal. Gegen Mittag verzieht sich der Nebelvorhang und ein blauer Himmel lugt hervor. Wir starten einen zweite Anlauf.Queren erstmal die Bucht, um Abstand zu ein- und auslaufenden Fähren, Schnellfähren, Schleppern und Kreuzfahrtschiffen zu bekommen. Es ist viel Schiffsverkehr. Wir segeln parallel zur Küste ausserhalb des Hauptfahrwassers. Kaum aus der Tallinn Bucht heraus, zieht sich der Himmel wieder zu. Die Suppe wird dichter und wir fluchen. War es die falsche Entscheidung nicht doch bis morgen zu warten?

Bild 1: In der Bucht von Tallinn unter Segeln

Bild 2: Astarte gut abgefendert

Bild 3: Deck der alten Kriegsarge im Hafen vom Port Noblessner

Bild 4 und 6: Abendstimmung im Yachthafen Noblessner , Fabrikgebäude und Hafenmolen

Bild 5: Gut verspanntes Schiff gegen Schwell am Steg