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Im Brückennachbau der Fregatte de Ruyter

„Mein Grossvater war dabei“ raunt plötzlich eine Stimme dicht an meinem rechten Ohr. Ich schrecke herum. Das Licht ist schummrig. Dann erkenne ich die Gestalt. Es ist der ältere Herr vom Eingang. Marineoffizier durch und durch.

Stolz trägt seine Uniform. Hellblaues Hemd mit Schulterstreifen, schwarze Hose, Namensschild. Das blonde Haar ist weiss und schütter geworden. Ungefragt plaudert er weiter: „ Er wurde verwundet und abtransportiert. Als er aufwachte fand er sich im Lazarett wieder. Das war seine Rettung. Die Kameraden haben nicht überlebt.“ Ich versuche etwas Abstand zwischen mich und mein Gegenüber zu bringen. Die Lautsprecher über uns immitieren Kampfgeräusche. Flugzeuglärm, Geschrei von Menschen, Wasserplatschen, dumpfe Explosionsgeräusche. Wir sind im Marinemuseum in Den Helder. Draussen regnet es, alles grau in grau. Hier drinnen werden wir in der Sektion „die Schlacht in der Javasee“ mental in das Jahr 1942  zurückgeführt. Holland kämpfte an der Seite der englischen Flotte um die Vormachtstellung in Südostasien gegen die Japaner und mussten eine bittere Niederlage einstecken mit grossen Verlusten an Menschenleben. Die meisten Seeleute waren zudem sehr jung. Jede volle Stunde schlägt eine Glocke zur Erinnerung an die auf See gebliebenen. Vom in grünblau und sehr düster gehaltenen Java Abteil geht es zur Schlacht von Chatham.

Die Wände sind rot und zeigen die typischen Vollschiffe des 17. Jhdts. Die Niederländer feiern ihren Nationalhelden Admiral de Ruyter.  Am Samstag den 18. Juli 1667 erhält der Admiral einen geheimen Auftrag. Die niederländische Flotte soll tief in feindliches Gebiet eindringen, um Schiffe und Schiffswerften zu zerstören. Adrianz Michel de Ruyter führt seine Flotte erfolgreich in den River Medway bis Chastham zum maritimen Herz der  englischen Marine. Auch wir sind diese Saison bis Chatham gesegelt. Im Gegensatz zur damaligen Zeit konnten wir auf genaue elektronische Karten, präzise GPS Positionen und Strömungsdaten zugreifen. Auch unter diesem Aspekt muss man die seglerischen Leistungen des goldenen Zeitalters betrachten. Ich selbst steuere ein Vollschiff durch die feindlichen Linien und es fühlt sich verdammt echt an. Das Schwanken der Planken, jede Schiffsbewegung, die Trägheit der Masse mit dem zeitverzögerten Reagieren des behäbigen Kolosses ist sehr echt immitiert. Immer dichter kommen die feindlichen Rümpfe heran und dann bekomme ich die Kurve nicht mehr. Rammmminnnng! Das wars.

Weiter geht es vorbei an Ölgemälden, Schiffsmodellen, Geschützwerkstatt, Takelarbeiten, Schweisstechnik, Radargeräten, durch das U-Boot Tonijn zum Nachbau des Brückenhauses der modernen Fregatte De Ruyter mit Stealthtechnik wo in den Radarkabinen ein Ernstfall simuliert wird. Die Atmosphäre löst Beklemmung aus. Oben im Radarturm erlebt man welche Windkräfte durch die mit zwanzig Umdrehungen pro Minute rotierende Radarantenne entstehen.

Wer sich entschliesst zur Marine zu gehen, sollte vorher dieses Museum besuchen. Hier kann man die Enge der Arbeitsplätze und die täglichen Herausforderung ziemlich gut einschätzen und bekommt einen realistischen Eindruck von dem was einen erwarten wird. Für mich steht fest: Hut ab, wer sich dazu verpflichtet. Es ist kein Zuckerschlecken. Bald haben wir genug vom Kalten Krieg und Säbelrasseln. Hunger kommt auch auf. Den Tag lassen wir gemütlich bei einer ausgesprochen leckeren und frischen Pizza bei da Gino ausklingen. Das Ordnern läuft hier über eine kleine Tischleuchte, die beim Drehen ihre Farbe wechselt – wie originell.

Wirkt Den Helder auf den Durchreisenden im ersten Eindruck etwas verwahrlost mit teils leeerstehenden Geschäften oder den typischen Läden für Billigramsch, so hat es beim genaueren Hinsehen auch schöne Ecken. Das restaurierte Werftgelände Willemsoord mit Restaurants, Eventräumen, Gewerbe, Kunstgalerie, Marina und Marine- und Rettungswesen Museum umrahmt von Kanälen in denen historische Schiffe liegen lohnt einen Besuch. Das grüne Umland der Stadt mit dem Helderse Vallei, die nahen Nordseestrände mit dem Leuchtturm Lange Jap (63,45 Meter hoch, der höchste historische Leuchtturm Europas) bieten viele Freizeitaktivitäten. Südlich von Den Helder liegt Julianadorf mit dem grössten zusammenhängenden Blumenzwiebelanbaugebiet der Welt. Im April und Mai blüht es bunt soweit das Auge reicht. Schier endlose Radwege führen durch das Blumenmeer. Interessant ist, dass die Felder nach der Ernte künstlich geflutet werden, um Schädlingen den Nährboden zu entziehen. Vermarktet werden nicht die Blumen. Die Blüten werden abgeschnitten und über den Sommer bleiben nur die Stiele stehen, damit die ganze Kraft der Pflanze sich in den Knollen unter der Erde sammelt. In den Verkauf kommen die Blumenzwiebeln. Den Helder hat mehr zu bieten als nur Fährort und Marinestützpunkt zu sein. Wir haben gelernt: hier muss man zweimal hinsehen!