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Estlands Kapitale – ein Bogen vom mittelalterlichen Reval zur hippen Metropole der virtual Reality

Schnell wollen wir hinter die geschützten Molen bevor der Nebel das Anlegen schwierig macht. Doch wo ist die Einfahrt? Vor uns türmen sich halb verfallene und überflutete Reste von Molen auf. An Steuerbord liegen in einem grossen Becken graue Marineschiffe. Voraus sind grosse düstere Werfthallen. Das Navigationsprogramm zeigt auch für den Unterwasserbereich eine zerklüftete Landschaft aus Untiefen mitten in der vermeintlichen Hafeneinfahrt. Vermutlich versunkene Hafenanlagen oder Wrackteile, wir wissen es nicht und suchen aufgeregt die Molen mit dem Fernglas ab nach irgendwelchen Hinweisen wo sich ein Becken für Sportboote befinden könnte. Ich greife zum Telefon und rufe den Hafenmeister an, der uns bestätigt, dass der Tiefgang ausreicht. Wir manövrieren uns zwischen zwei Untiefen durch und erreichen die Steganlagen. Mittlerweile hat es aufgefrischt und wir sind froh, bald gut verzurrt zu sein. Bereits in der ersten Stunde stellt sich heraus, dass der Hafen sehr unruhig ist und Schwell, verursacht durch Fähren und Kreuzfahrtschiffe, sich ungehindert ausbreiten kann. Axel leistet ganze Arbeit und vertäut uns mit Ruckfendern, Kettenvorläufern und allen verfügbaren Leinen. Hinterher haben wir zwölf Leinen ausgebracht und hängen wie eine Spinne im Netz. Die Nacht wird unruhig. Das Schiff ruckt hart ein und die Gangway zwischen Steg und Kai quietscht erbärmlich. Noch am Abend erkunden wir das Gelände und stellen fest, dass wir in einer Mischung aus Regatta-Segelsport Zentrum, aktivem industriellem Werftbetrieb, verfallenen leeren Fabrikgebäuden, einer Grossbaustelle für neue Appartmenthäuser mit Hafenblick und hippen Firmen aus Branchen wie Medien und Design in Hamburger Kampnagelatmosphäre gelandet sind. Das vermeintliche Hafenmeisterbüro im gelben Container ist verwaist. Ein Toilettencontainer ist zwar mit Designerfliesen ausgestattet, aber alles hat wohl sehr lange keine Putzfee mehr gesehen.

Unsere erste Hürde haben wir genommen nachdem uns der Hafenmeister den Code für die Zutrittstür zum Ponton per SMS zugeschickt hat, aber sich die Tür trotzdem nicht öffnen liess. Durch Herumfragen bei den Kellnern des angegliederten Restaurants fanden wir den richtigen Code heraus. Von der Kellnerin erfuhr ich noch, dass man möglichst um 23.00 Uhr wieder im geschlossenen Gelände sein sollte.

Laute Musik aus dem Szene Lokal schallt zu uns herüber. Graue Kunststoffkorbsofas mit weissen Kissen und darauf überall kleinen orange Kissen mit der Werbung des Champagnerherstellers Veuve Cliqot ziehen gut gekleidete junge Leute an, die hier beim Essen und einem Glas Champagner chillen. Range Rover scheint der beliebteste Fahruntersatz zu sein. An zwei Stegen liegen kleiner Segel- und Motorboote. Einheimische Segler kommen und gehen. Am Aussensteg sind einige Rennziegen vertäut und crackig in schwarz gekleidete junge Burschen turnen darauf herum. Der einzige weitere Gastlieger ist ein russisches klassisches Holzschiff. Auf einer schwimmenden Arbeitsplattform mit dem Brückenaufbau eines Kümos wuseln Werftarbeiter mit Bauhelmen herum. Ein stechender Geruch nach Chemiefabrik liegt über allem.

Hier sollten wir uns also für die nächsten zwei Wochen einrichten, Das verspricht spannend zu werden.

Vom Schiff haben wir einen guten Blick auf die See über die niedrigen Mole, die eigentlich nur aus einigen in das Meer geschütteten riesigen Betonklötzen besteht. Unermütlich kriechen am Horizont die Fähren und Schnellkatamarane entlang.

Tallinn Port Noblessner

Entweder werden sie kleiner und verlassen Tallinn oder sie werden grösser und bringen neue Menschen in die Stadt. Eine Fähre kann ca. 1500 Menschen befördern. Tallinn wurde als Hansestadt zwischen dem 12 bis 14 Jahrhundert aufgebaut. Der alte Stadtkern ist bis heute erhalten und zieht jährlich tausende Touristen aus aller Welt an. In der Kapitale leben ca.400.000 Menschen.